Kommissar Joakim Hill - 01 - Die zärtliche Zeugin
Lichtung umgab, war einfach bösartig. Die Rosenbüsche mischten sich mit Büschen aus dem Garten, die sich selbst ausgesät hatten, und von diesen war der Weißdorn am schlimmsten.
Aber sie konnten nicht umkehren, und sich mehr beeilen konnten sie auch nicht. Der kleinste Zweig, der unter ihren Schuhen knackte, der geringste Laut, der ihre Anwesenheit verriet, konnte fürchterliche Folgen haben.
Sie sahen jetzt, dass sich da drin etwas bewegte.
Einen Schatten, der sich in den Schein der Lampe bewegte.
Also ließen sie sich zerkratzen und bahnten sich einen Weg durch das Gestrüpp. Schritt um Schritt kämpften sie sich zur Rückseite von Elin Starbecks winzigem Haus vor.
Jetzt war sie ein fertiges Kunstwerk. Spektakulär und Aufsehen erregend, avantgardistisch und provozierend und – beängstigend. Das Blut, das aus den vertikalen Schnitten lief, kontrastierte einzigartig mit ihrer gelblichweißen Haut.
Und trotzdem war Stoján nicht zufrieden.
Er hatte die Strafe vollstreckt, die Bezahlung für ihre Verbrechen gegen die Organisation eingefordert – aber er hatte ihren Willen nicht gebrochen.
Seine Unzufriedenheit war offensichtlich. Das sadistische Grinsen auf seinen Lippen war vollkommen verschwunden und von einer schiefen, frustrierten Grimasse abgelöst worden.
Es musste ihm glücken!
Sein Seelenfrieden hing davon ab.
Er setzte die Spitze seines Stiletts unter ihrem linken Auge an.
Grün und rot wurden für Bernard eins. Elin wurde Jalinka, und richtig wurde falsch, die Gegensätze flossen ineinander. Grün wurde flammend rot. Das bedeutete Stopp, und Bernard wusste, dass er ihn schon lange hätte in die Schranken weisen müssen.
Jetzt war sie wieder Jalinka. Und das Blut lief ihr über die Füße und in funkelnden Lachen auf den Fußboden.
Es pochte in seinem Kopf – das tat fürchterlich weh. Er drückte den Kolben seiner Pistole gegen die Schläfe und spürte, dass das kalte Metall eine kurze, befreiende Sekunde lang kühlte.
Die Wirkung hielt jedoch nicht an, und Bernard hatte nie zuvor einen so unerträglichen Schmerz empfunden.
Er glaubte, verrückt zu werden.
Hill und Sahlman sprangen gebückt über den verwilderten Rasen, den Hinterhof der Tankstelle.
Sie achteten darauf, keinen Schatten zu werfen, was an kleine Jungen erinnerte, die jemandem einen Streich spielen wollen. Kleine Jungen, die Räuber und Gendarm spielen.
Die Strecke, die sie zurückgelegt hatten, konnte kaum mehr als zehn Meter betragen, aber sie kam ihnen ebenso lang und qualvoll vor wie die Via dolorosa.
Sahlman gestikulierte. Er machte ein paar Handzeichen, und Hill nickte.
Das hatten sie oft trainiert. Nach dem Regelbuch in der Turnhalle. Jetzt waren sie unendlich dankbar, dass sie sich sofort verstanden.
Sahlman bezog Posten an der Treppe zur Hintertür, und Hill ging um die Hausecke weiter und zum hell erleuchteten Fenster.
Vorsichtig schlich er an die Wand gedrückt weiter und spürte durch das weiche Wildleder seiner Jacke, wie ungleichmäßig das Holz war.
Zweifellos war es überaus riskant, sich so nah anzuschleichen, aber andererseits wäre es unverzeihlich gewesen, sich nicht einen Überblick über die Situation zu verschaffen, in die sie sich begaben.
Einen Augenblick blieb er direkt neben dem Fensterrahmen stehen. Eine Sekunde lang stand er wie angewurzelt da und versuchte, so ruhig zu atmen wie möglich.
Für Vorsicht blieb ihm jedoch keine Zeit.
Er brauchte Gewissheit.
Ganz langsam drehte er den Kopf Richtung Fenster. Vorsichtig, damit seine Schulter nicht zu sehen sein würde. Das grelle Licht der Deckenlampe fiel auf seine Wange und offenbarte die Wahrheit dort drinnen.
Zeigte ihm schonungslos die Gesichter, von denen er sich geschworen hatte, dass er sie nie vergessen würde, die Gesichter derjenigen, die ihn in seinem hilflosen Elend verhöhnt hatten.
Lautlos zog er sich in den Schatten zurück, eilte zurück zur Hintertür und gab Sahlman das Zeichen, auf ihn zuzukommen.
»Stürmen!«, flüsterte er ihm ins Ohr. »Stürmen – sofort!«
»Ich hoffe wirklich, du siehst ein«, sagte Stoján mit merkwürdig milder Stimme, »dass es Methoden gibt … ein Tier zu zerlegen, während es noch lebt.«
Bernard näherte sich von seinem Zuschauerplatz schräg hinten. Adrian folgte ihm misstrauisch mit dem Blick. Vermutlich fand er, dass er sich merkwürdig verhielt, verstand aber nicht recht warum.
Aber war hundertprozentig in die Aufgabe vertieft, den letzten Funken Leben ebenfalls
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