Kommissar Joakim Hill - 01 - Die zärtliche Zeugin
spitzte die Ohren.
»All right! Weißt du, wer’s war?«, wollte der andere wissen.
Die Ohren von Sahlman waren plötzlich länger als die von Spock in Raumschiff Enterprise.
»Nee, keine Ahnung. Leider! Offenbar ’ne saubere Arbeit.«
Der andere kicherte.
Sahlman hielt sein Ginglas so fest, dass die Fingerknöchel weiß wurden. Was wussten diese Rotzbengel schon vom wirklichen Leben? Wären sie gestern Abend in Berga gewesen, dann hätten sie sich in die Hosen gemacht, aber es war einfach, das Maul aufzureißen, wenn die eigene Begabung darin bestand, die Einrichtungen von Kneipen zu verschleißen!
Er wusste, dass er gezwungen sein würde zu wählen. Entweder stand er auf und ging oder …
Sein Handy klingelte, und vor lauter Verwirrung goss er seinen Drink über den Tisch. Die Jungen am Nachbartisch kicherten, entdeckten dann aber durchs Fenster eine Bekannte und kümmerten sich nicht weiter um ihren zittrigen Tischnachbarn, denn die Bekannte hatte einen großen Busen und trug einen Minirock.
»Sahlman.«
Irgendwie war es ihm geglückt, das Handy aus der Tasche zu ziehen.
»Sahlman? Hier ist Joansson. Du, ich hab da was für dich.«
»Was?«
»Ich weiß, dass du schon Feierabend hast, aber könntest du noch mal reinkommen, dann gebe ich dir die Unterlagen. Es geht um eine Einbruchswelle. Glaubst du, dass du dich darum kümmern könntest?«
Sahlman richtete sich mit Mühe in der Bank auf, vermied es, seinen Anzug mit dem durchnässten Tischtuch zu ruinieren, und nahm Kurs auf das Präsidium.
»Spielt alles keine Rolle, Joansson, wenn du mich nur von diesem verdammten Feierabend erlöst.«
Hill fragte sich, ob Holmgren ihm nicht bei seinem Problem helfen könnte. Dieser befand sich immer noch in dem Shop und betrachtete den eigenartigen Eisfleck.
Offenbar war die Untersuchung in eine entscheidende Phase getreten. Holmgren kniete mit einer Lupe auf allen vieren. Gewisse Methoden kamen wohl nie aus der Mode.
Er hörte, wie sich ihm Hill von hinten näherte, aber sah nicht auf.
»Hören Sie«, wollte er wissen, ehe Hill noch seine eigenen Fragen stellen konnte, »was halten Sie eigentlich von diesem Abdruck? Der Fleck ist offenbar alt, aber der Abdruck ist frisch, oder?«
Hill beugte sich vor und betrachtete nachdenklich den schmierigen Fleck.
»Ja, jedenfalls ist kein Staub drauf. Überhaupt kein Schmutz im Übrigen. Die Kanten sind ebenfalls nicht abgetreten, sondern scharf und deutlich abgegrenzt. Das ist ein frischer Fleck, würde ich auch sagen.«
»Dann könnte er also vom Mord stammen.«
»Glauben Sie?«
»Ja. Schauen Sie hier. Ein sehr deutlicher Abdruck. Sehen Sie hier den kleinen Dinosaurier. Eine ungewöhnliche Marke. Wissen Sie, diese Marke ist selten. Das ist ein echter französischer Stegoschuh.«
»Ich weiß.«
»Ach?«
»Ja«, entgegnete Hill.
Holmgren starrte ihn ungläubig an. Was wollte der eigentlich davon wissen? Ganz offensichtlich kaufte Hill seine Kleider bei Hennes & Mauritz.
»Wie das?«, wollte er wissen.
»Das steht auf Ihren Schuhen.«
Hill beugte sich vor und klopfte ironisch auf Holmgrens Schuhsohlen.
»›Stego. Made in France‹, steht hier unter dem kleinen Stegosaurier.«
Er wandte sich ab und tat so, als würde er nicht merken, dass Holmgren knallrot wurde.
»Übrigens«, fuhr Hill fort, während der andere verärgert aufstand, »haben Sie irgendwo bei der Leiche ein Rubbellos gefunden?«
»Nein.«
Draußen begann es zu dämmern, und auf den Autopflegeprodukten, Videofilmen, Zeitungen und Kühltheken breitete sich ein weiches gelbrosa Licht aus. Alles war vermutlich ebenso friedlich und schön wie an jedem anderen Abend, und Hill kam es schändlich vor, den seltsam melancholischen Frieden durch eine unverschämte Frage zu stören.
»Haben Sie im Papierkorb nachgesehen?«
»Hören Sie, wir machen das hier nicht zum ersten Mal. Hören Sie auf.«
»Nein, ich meine das ernst«, versicherte Hill. »Haben Sie nachgeschaut?«
»Nein.«
Mit energischen Schritten ging Hill in das leere Büro zurück. Methodisch wühlte er im Papierkorb, den Svantesson sicher bereits kontrolliert hatte, aber da lag nicht viel. Ein gründlich verwendetes Kleenex, einige Haare, die Schale einer Klementine und ein zerknülltes Blatt Papier ohne Text.
Aber kein einziges Rubbellos, überhaupt nichts, womit sie etwas hätten anfangen können.
»He, Sie, aufwachen!«, ermahnte ihn Holmgren und lehnte sich lässig in die Tür. »Das hier ist keine Fernsehserie. Das ist
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