Kommissar Joakim Hill - 01 - Die zärtliche Zeugin
mit dem Wachmann. Wir müssen schließlich für eine gewisse Kontrolle sorgen. Das lässt sich in diesen Zeiten einfach nicht vermeiden.«
»Kein Problem. Damit muss man schließlich rechnen, wenn man herumschnüffelt«, meinte Hill wegwerfend.
»Das beruhigt mich«, meinte der Dozent erleichtert. »Das Ganze wirkte schließlich einen Moment lang recht bedrohlich.«
»Kein Problem«, log Hill noch einmal und beendete das Gespräch.
Die Gegensprechanlage schepperte. Es ärgerte Hill, aus seinen Überlegungen gerissen zu werden. Er hatte sich gerade erst mit der Terminologie angefreundet, und das Schreiben des Berichts ging ihm endlich etwas schneller von der Hand.
Es gab Handys mit einer Reichweite quer über halb Europa und Satellitenkommunikation, aber die Gegensprechanlagen schepperten immer noch so wie damals, als sie in den fünfziger Jahren erfunden wurden.
»Du, Hill, kannst du nicht einen Augenblick runterkommen«, ließ sich Joanssons Stimme scheppernd aus dem Erdgeschoss vernehmen.
Das war keine Frage, sondern ein Befehl.
Hill hatte ohnehin unten in den Zellen der Untersuchungsgefangenen zu tun. Die Angelegenheit war zwar eher unerfreulich, umso besser also, dass er sich gleich darum kümmerte.
Ein Mann hatte am Vorabend in einem Chinarestaurant einen Mann und dessen Frau, die ihren Hochzeitstag gefeiert hatten, gestört und misshandelt, und zwar allein deswegen, weil das Opfer einen Schlips getragen hatte, gegen den der Täter einen unmittelbaren Widerwillen empfunden hatte. Jetzt sollte er wieder auf freien Fuß gesetzt werden, und Hill fiel die Aufgabe zu, ihm die freudige Neuigkeit zu überbringen.
Nach einer geruhsamen Nacht in der Zelle konnte er jetzt nach Hause gehen, denn als Hill den Bericht über die Festnahmen des vergangenen Abends geschrieben hatte, war ihm aufgefallen, dass es durch einen unglücklichen Umstand nichts gab, auf Grund dessen sie diese Ratte festhalten konnten.
Der Mann mit dem aufdringlichen Schlips hatte sich leider zum Schluss gewehrt, hatte alle Hemmungen und alle Vorsicht fahren lassen und seinen Angreifer mit einer rechten Geraden zu Boden gestreckt. Und das war nicht erlaubt!
Der Täter konnte also alles gelassen angehen und seinerseits das feiernde Paar anzeigen, wenn er das wünschte. Die Staatsanwaltschaft würde den Fall sicher nicht einmal mit der Zange anfassen wollen.
Also alles wie immer. Der Abschaum zog sich durch irgendeine Finte aus der Affäre. Die Opfer hatten keinerlei Rechte und mussten im stillen Kämmerlein leiden.
So etwas konnte jedem eingefleischten Polizisten die Arbeit verleiden. Falls es überhaupt einen gemeinsamen Nenner für die Unzufriedenheit bei der Polizei gab, dann war es diese Machtlosigkeit, die alle empfanden. Wie oft wurden alle ihre Anstrengungen zunichte gemacht, weil ein Komma Fehldeutungen zuließ oder weil irgendwo eine Unterschrift fehlte – manchmal reichte auch schon der Umstand, dass Tante Agata blaue Unterhosen hatte!
Alle hatten Tage, an denen sie an dem Sinn ihres Tuns zweifelten. Dann überlegten sie, ob all dies zulässig war, oder ob sie sich nicht bald umschulen lassen sollten. Frisör, behaupteten einige, sei ein stimulierender Beruf auf sicherem Abstand vom langen Arm des Gesetzes.
Aber dann war da auch etwas anderes. Dieses Gefühl, wirklich gebraucht zu werden. Dass man wirklich etwas erreichte, dass man für die meisten die Demarkationslinie darstellte zwischen einem relativ erträglichen Dasein und dem absoluten Chaos. Aus diesem Grund harrten trotz allem die meisten von ihnen auf ihrem Posten aus.
Im Prinzip befand sich Hill also bereits auf dem Weg aus seinem Zimmer, als ihn Joansson anrief. Er versprach, sofort bei ihm vorbeizuschauen.
Ein junger Mann stand lässig gegen den Empfangstisch gelehnt und blätterte in einem Packen zerknitterter Zettel. Das war der Typ mit den Baguettes.
»Ja?«, sagte Hill.
»Du, hier ist Jonas. Offenbar gab es ein Durcheinander mit den Bestellzetteln«, begann Joansson, als könnte der junge Mann nicht selbst sprechen. »Er will wissen, ob du Frikadelle oder Krabbensalat bestellt hast.«
»Nein.«
»Was? Nein?«
»Ich habe nichts bestellt«, entgegnete Hill entschieden. »Ich hatte nicht vor, heute hier zu essen. Bist du dir sicher, dass du da wirklich meine Bestellung in der Hand hast, Bürschchen?«, wandte er sich an den jungen Mann.
Jonas D. hasste es, mit Bürschchen angeredet zu werden, obwohl diese Bezeichnung gut zu ihm passte. Aber es wäre ihn
Weitere Kostenlose Bücher