Kommissar Joakim Hill - 01 - Die zärtliche Zeugin
Wie gesagt, wusste er es selbst nicht.
Aber in Catharinas Gesellschaft fühlte er sich wohl – die ganze Zeit. Obwohl die Großfähre Aurora auf ihrer Fahrt von Helsingborg nach Helsingør und zurück ziemlich schaukelte.
Catharina war pünktlich im Präsidium eingetroffen, was ihn erstaunte. Schließlich war sie Ärztin auf der Notaufnahme, wo doch in letzter Sekunde noch allerhand hätte passieren können.
Er hatte sich darauf vorbereitet zu warten und sogar gehofft, noch vor dem Feierabend eine Antwort von der Staatsanwaltschaft zu bekommen. Doch um Punkt sechs stand sie in der Tür und betrachtete amüsiert seine Mühen mit den Losen. Er kam sich wie ein Idiot vor. Sie röntgte bei ihrer Arbeit gebrochene Fußgelenke und Schädelfrakturen, und er durchleuchtete die Rubbellose der Penninglotteri.
»Hallo!«, sagte er etwas verlegen, »kommst du jetzt schon, sehr gut!«
»Ich störe doch hoffentlich nicht? Es hat den Anschein, als würdest du auf einmal dein Glück allein suchen.«
»Ach das … das erkläre ich dir später! Die Millionen können warten – aber unser Abendessen legt auf die Minute pünktlich ab. Komm!«
Rasch beendete er seine Arbeit mit dem Scanner und schloss diesen dann zusammen mit den Losen und seiner Dienstwaffe in seinem großen Aktenschrank ein.
Laut Reglement hätte er seine Pistole in den Waffenschrank legen müssen. Aber da sie bereits wartete, hatte er es besonders eilig. Also legte er die Waffe schlampig zusammen mit all den anderen Sachen in den verschließbaren Stahlschrank.
Denn er wollte sie nicht mitnehmen, weil es nicht sonderlich bequem war, gerade jetzt dieses extra Gewicht unter dem Jackett mitzuschleppen. Besonders auch im Hinblick darauf, dass sie sich vielleicht im Verlauf des Abends näher kamen.
Dann hatte er sie durch den Korridor nach draußen gelotst. Beschützend legte er ihr einen Arm um die Schultern, als sie am Kaffeezimmer vorbeikamen und verabschiedete sich ungewöhnlich laut und deutlich von seinen Kollegen.
Sahlman saß mit ein paar Kollegen dort.
Joansson hatte bereits Feierabend und war von Bo Mandén abgelöst worden. Jetzt redete er auf Sahlman wegen des misshandelten Blechkollegen aus Malmö ein.
Sie hatten ihren Wortwechsel unterbrochen, Hills Abschiedsgruß erwidert und Catharina an seiner Seite gesehen.
Wie geplant.
Er war wirklich zufrieden mit sich. Dies konnte ein überaus angenehmer Abend werden, so etwas hatte er im Gefühl.
Er war so übermütig gewesen, dass ihn der grüne Volvo nicht kümmerte. Dieser wartete mindestens seit anderthalb Stunden auf einem der Parkplätze vor dem Polizeipräsidium, auf denen man nur eine Viertelstunde stehen durfte. Er würdigte ihn kaum eines Blicks, als sie zusammen hinunter zum Hafen eilten. Er wollte seine Zeit schließlich nicht auf einen Falschparker verschwenden. An diesem Abend hatte er Besseres vor!
Und sie offenbar auch.
Erwartungsvoll ging die zierliche Ärztin aus Lund neben dem langbeinigen Detektiv her. Eile schien geboten. An diesem milden Frühlingsabend voller Vorfreude blieb keine Zeit, um auf Licht oder Schatten zu achten.
Sie hatten sich stattdessen von einer der eleganten Fähren der Scandlines aufs Meer entführen lassen – auf ein Meer, auf dem man in dem magentarot eingerichteten Restaurant auf dem Oberdeck vor der Wirklichkeit flüchten und sich kulinarisch verwöhnen lassen konnte.
Die Aussicht war grandios. Hill hatte einen Tisch so weit vorne wie nur möglich bestellt, und ihr Mahl war von einer Aussicht umgeben, die sich ständig veränderte: Schnellboote, Kreuzer und Frachter aller Größen und aller Nationalitäten. Es schien ihnen fast, als spürten sie, wie der Kapitän auf der Kommandobrücke auf und ab schritt und jedes Mal erleichtert aufseufzte, wenn es ihm gelang, reibungslos anzudocken.
Autos, Eisenbahnwaggons und Busse hatten das Fahrzeugdeck hastig in einer ameisenähnlichen Karawane verlassen, nur damit sich das Transportdeck erneut füllen und die Fähre wenden konnte.
Seltsamerweise unterhielten sie sich kaum über die Mordfälle oder anderweitiges menschliches Leiden. Es war überaus entspannend, die Probleme des Alltags für eine Weile vergessen zu können. Stattdessen sprachen sie über Reisen und andere Interessen.
So gut es ging, versuchten sie, sich ein Bild von den Vor- und Nachteilen des anderen zu machen. Eine Art sprachliches Vorspiel, die platonische Billigung des Intellekts einer zukünftigen, eingehenderen körperlichen
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