Kommissar Joakim Hill - 02 - Die Frau im Schatten
Lichtschimmer aus einem der oberen Räume. Er kam zweifelsohne aus der Küchenetage, also setzte sie ihren Weg vorsichtig fort.
»Weil nämlich, bester Herr Schutzmann«, hörte sie eine zu hundert Prozent menschliche, aber beängstigend kalte Stimme sagen, »das, was Sie gerade betrachten, nichts Geringeres ist als das seit 1349 verschwundene Hochzeitsgeschenk von Königin Blanche de Namur.«
Die Stimme setzte im selben Moment ihren Monolog fort, in dem Linda vorsichtig einen Blick über die Kante des Türrahmens warf.
»Und zwar genau jenes«, erklärte sie gerade, »welches sie am Morgen ihrer Hochzeit im Jahre 1335 aus der Hand von König Magnus Eriksson im Schloss von Bohus in Empfang nahm!«
Linda blieb wie versteinert am Türrahmen stehen, und als ihre Augen sich an das starke Halogenlicht gewöhnt hatten, konnte sie den eben erwähnten Schmuck erkennen. Das ziselierte Gold, die handgetriebene Einfassung, die mystisch schimmernde Amethysten und Rosenquarze umschloss, war wunderhübsch – geradezu fantastisch! Wie eine antike Brosche auf einer Volkstracht, nur viel erlesener! Ganz sicher war sie ziemlich alt. Das letzte Mal, als sie so ein Schmuckstück gesehen hatte, befand es sich hinter alarmgesichertem Glas im Nationalmuseum.
Und dieser Mann hielt den Schmuck ganz offen in seiner Hand, während er behutsam über die Oberfläche strich, als wäre es die zarte Haut seiner Geliebten. Endlich hatte er also nach all diesen aufreibenden und trostlosen Wochen gefunden, was er so heiß begehrte.
Und was würde er jetzt mit dem Polizisten anstellen?
Was er in Händen hielt, war vielleicht Milliarden wert! Und Sahlman war der Einzige, der es ihm entwenden konnte.
Die Frage war leicht zu beantworten.
Er würde es nicht zulassen.
Linda beobachtete, wie der junge Mann den Schmuck in die linke Hand legte und mit der rechten die Pistole aus seinem Hosenbund zog. Er entsicherte die Waffe mit einem Furcht erregenden Klicken.
»Äh …«, röchelte Sahlman angestrengt.
Ihm war selten so wenig Zeit zum Nachdenken geblieben. Verzweifelt suchte er etwas, das ihm einige Sekunden Aufschub verschaffen würde.
»… es ist übrigens ein schöner Schmuck, nur woher wussten Sie, dass Sie ihn hier finden würden?«
»Jetzt ist es wohl nicht mehr nötig, die Informationen geheim zu halten, nehme ich an«, antwortete der Mann mit dem exhibitionistischen Eifer, auf den Sahlman so verzweifelt gehofft hatte. »Ich war einer der Assistenten bei der letzten Restaurierung. Ich habe bereits in der mittelalterlichen Architekturgeschichte geforscht, und als Leute für das Projekt gesucht wurden, habe ich nicht lange gezögert.«
»Wussten Sie es da bereits?« Sahlman verschlug es beinahe die Sprache.
»Nein, nicht bevor ich das Quellenmaterial während der Restaurierungsarbeiten studiert habe. Ich fand den Hinweis in einem Abschnitt aus Libellus de Magno Erici rege, der berühmten Schmähschrift über Magnus Erikssons Regierungszeit.«
Der Assistent redete munter drauflos, verlor sich vollkommen in seinem Lieblingsthema und schenkte seinem interessierten Gegenüber ahnungslos kostbare Zeit. Und Sahlman hütete sich, seinen Redefluss zu unterbrechen.
»Vieles in dem Werk ist allerdings reine Verleumdung«, informierte ihn der junge Mann enthusiastisch, »aber ein ganzer Teil gibt Aufschluss über reale Geschehnisse. Wie dieses Kapitel, in dem berichtet wird, dass ein Schmuckstück – und zwar ein sehr hochwertiges – irgendwo in diesen Mauern versteckt liegen soll.«
Er machte eine weitschweifende Geste in Richtung der Wände. Sahlman schnappte nach Luft, weil er dachte, dass nun endgültig sein letztes Stündchen geschlagen hatte, aber er lag mit seiner Vermutung zum Glück falsch. Mit seiner ausholenden Bewegung wollte der Mann eigentlich nur das Ausmaß dieser fantastischen Geschichte andeuten. Sahlman hatte die Sache also von vornherein richtig eingeschätzt: Wenn man so viel Mühe auf eine Aktion verwendet hatte, wollte man die Bühne nicht unbedingt inkognito verlassen.
»Aber warum«, versuchte Sahlman den hauchdünnen Faden weiterzuspinnen, »warum hat man so einen wertvollen Schmuck eingemauert?«
»Libellus de Magno Erici rege ist von den größten Feinden des Königs verfasst worden«, klärte ihn der Suchende in lyrischem Tonfall auf, »demzufolge hat man es getan, um der Kirche die rechtmäßige Rückzahlung von Anleihen zu verweigern …«
Sahlman hatte offenbar genau das richtige Thema angesprochen und die
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