Kommissar Joakim Hill - 02 - Die Frau im Schatten
gehabt hatte. Sie schien viel zu wohlhabend dafür zu sein. War vielleicht eher mit einem silbernen Löffel im Mund geboren?
»Nein, nichts«, antwortete Gårdeman.
Hill bückte sich ein wenig und schaute sie fragend an. Als hoffte er, dass sie ihm selbst eine Antwort würde geben können.
Doch ihre Rätselhaftigkeit war vollkommen und auf ewig.
Der silbergraue Leichenwagen des Bestattungsunternehmens kam langsam die Straße hinaufgeschlichen. Er parkte unauffällig am Straßenrand und wartete auf seinen Einsatz.
»Okay, wir sind jetzt fertig«, teilte Anderberg mit und kletterte vorsichtig vom Rücksitz des Mitsubishi. »Ich glaube, wir haben alles gesichert, was in diesem Stadium möglich ist. Den Rest müssen wir morgen im Labor untersuchen. Du kannst jetzt ihre Tasche inspizieren, Hill.«
Es war eine zweifelhafte Ehre, die Kriminalkommissar Hill damit zugefallen war, und sie gefiel ihm gar nicht.
Als ob das Dämmerlicht des Irrealen die Tragödie nur verhüllte, so lange die nächtliche Ungewissheit noch vorherrschte. Als würde der Name des Opfers nicht zur Tatsache, bevor er nicht laut und deutlich ausgesprochen wäre.
Und er, Hill, war zur offiziellen Ausübung des Rituals ausersehen worden – derjenige, der ihr Schicksal besiegeln sollte, indem er ihre Identität preisgab.
Eine höchst zweifelhafte Ehre.
»Eines frag ich mich«, sagte Gårdeman halb zu sich selbst und lehnte sich mit dem Ellenbogen gegen die offene Autotür. »Was machte sie eigentlich an einem saukalten Abend wie diesem hier draußen …?«
»Was macht man an einem Abend wie diesem draußen?«, fragte Hill zurück.
»Ich meine, wenn sie schwanger war und so?«, setzte Gårdeman unberührt hinzu.
Hill fragte sich eigentlich dasselbe, doch er hatte keine passende Antwort.
War sie unterwegs gewesen, um Weihnachtsgeschenke zu kaufen? Aber warum war sie dann hier sitzen geblieben?
Die Tasche lag noch auf dem Beifahrersitz, dicht neben der Toten und halb unter ihrer rechten Hüfte eingeklemmt. Die Techniker hatten sich damit begnügt, sie zu fotografieren.
Vorsichtig zog er sie hervor und nahm sie an sich. Echtes Kalbsleder, tippte er. Dunkles, teures Kalbsleder.
Die Tasche war schick und exklusiv, genau wie die Besitzerin selbst es gewesen war. Er öffnete sie und suchte in unzähligen Reißverschlussfächern, bis er endlich in einem seidengefütterten Fach die Brieftasche zusammen mit ihrem Filofax fand. Den würde er später durchgehen, doch die Brieftasche öffnete er sofort.
Auf dem Bild des Führerscheins war sie schmerzlich schön. Hübsch, lebendig und fröhlich. Er war vor sieben Jahren ausgestellt worden. In dieser Zeit hatte sie sich von einem vor Lebenslust sprühenden jungen Mädchen in eine sehr feminine Frau verwandelt. Der nächste Führerschein hätte ein anderes Bild der Inhaberin gezeigt, dachte er. Doch er würde nie erneuert werden.
Er studierte die Angaben auf dem Ausweis, bis es keinen stichhaltigen Grund mehr gab, seine traurige Pflicht länger hinauszuschieben. Keine richtig gute Ausrede, sie nicht – mithilfe der Angaben, die alle interessierten – auf die ewige Reise zu schicken.
»Anne Smitt«, sagte er müde und klappte die Brieftasche mit einem leisen Schnappen zu. »Ihr Name war Anne Smitt.«
17:39:02
Sahlman fühlte sich wie ein Idiot – weil es absolut idiotisch war, hier oben im Kärnan zu stehen und Erörterungen über das Geschlecht eines Gespenstes anzustellen.
»Und warum glauben Sie, dass es sich um einen … ihn handelt?«, wollte er wissen.
»Ich weiß nicht«, gab Linda Persson ein wenig unsicher zu, »aber es wäre uns einfach nicht in den Sinn gekommen, dass es sich nicht um einen Mann … ein männliches Wesen jedenfalls … handeln könnte.«
»Warum nicht?«
Der Direktor Bo Jernback stand ein wenig abseits und mischte sich nicht in ihre Diskussion ein. Es war nun einmal Lindas Idee, die Polizei zu holen, und dann soll sie das Ganze auch selbst ausbaden, dachte er schadenfroh.
»Tja … vielleicht das Rabiate?«, versuchte sie es vorsichtig. »Vielleicht das Schwerfällige, Dumpfe …«
Bo Jernback grinste dort hinten im Dunkeln leicht spöttisch. Freute sich diebisch, dass Linda genau wie er Probleme hatte, die richtigen Worte zu finden. Sag einfach, wie es ist!, dachte er. Klar wie Kloßbrühe. Das Gespenst hat die und die offenkundigen Eigenschaften … Aber denken Sie bitte nicht, ich sei verrückt! Sehr nett von Ihnen!
Jetzt konnte sie selbst sehen, wie leicht es
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