Kommissar Joakim Hill - 02 - Die Frau im Schatten
aus ihrer Ruhestellung zu wecken. Der Computer antwortete auf seine eigene, besondere Weise, indem er unmittelbar abstürzte.
»Verdammt – er ist gesichert!«
»Immer mit der Ruhe«, meinte Hill geduldig. »Starten wir ihn doch einfach noch mal neu.«
»Ja, natürlich.«
Gårdeman empfand die zusätzlichen Minuten, die es dauerte, den PC wieder hochzufahren, als nahezu unüberwindliches Hindernis auf dem Weg zum bevorstehenden Feierabend und seinem damit verbundenen Wohlbefinden. Dem wunderbaren Augenblick, in dem er den Kopf auf das Kissen legen und herrlich befreit in eine Traumwelt ohne jegliche Probleme hinübergleiten können würde.
Er hatte in der letzten Zeit ungewöhnlich viel geträumt. Es waren lustige, völlig absurde Träume gewesen, die ihn morgens, trotzdem ihn der Wecker unerbittlich aus den Federn trieb, gut gelaunt den Tag beginnen ließen.
Oftmals hatte er geträumt, dass er Verkehrsdienst hatte, was im Hinblick auf seine Arbeit nicht besonders verwunderlich war. Doch im Traum hatte er die merkwürdigsten Autofahrer gestoppt und war in die unterschiedlichsten komischen Späße verwickelt worden.
Eines Nachts hatte er geträumt, dass er ein superflottes Mädel in einer völlig ramponierten Schrottkarre angehalten hatte. Sie hatte ihn auf einen Wodka eingeladen, den sie aus ihrem rechten Schuh tranken. Zum Schluss waren sie in romantischer Stimmung mit ihren mitgebrachten Wettex-Schwammtüchern auf dem Kopf gemeinsam über die Wiesen gelaufen.
Aus verständlichen Gründen hatte er Lena von genau diesem Traum nicht ein Wort erzählt.
Ein anderes Mal hatte er eine weiße Limousine an den Rand gewunken. Der Fahrer war ein Clown. Ein Clown mit roter Nase und Pistole. Eine Pistole, die große, leuchtend bunte Seidenblumen versprühte, als Ulf darum bat, seinen Führerschein zu …
Der Bildschirm leuchtete in grellem Gelb, während die Programme nach und nach geladen wurden.
»Keinen Bekanntenkreis, sagtest du?«
Hills Stimme drängte sich aufgekratzt und unbarmherzig in Gårdemans fantasievolle, in den Halbschlaf überleitende Gedankenwelt.
»Das hier«, fuhr er fort, »das nenne ich ein Adressbuch!«
Der Text war leuchtend rot. Das ganze Bekenntnis war in den kontrastreichen Farben der Provinz Schonen gehalten:
Anne
Leif
Als es Nacht wurde, konnte der Mann, der die Tote in Råå entdeckt hatte, nicht schlafen. Auge in Auge mit dem Tod zu stehen, hatte ihn stark aufgewühlt.
Erst war es, als hätte ihn der reinste Energieschub mit unfassbarer Geschwindigkeit in Richtung Polizeirevier getragen. Und sicherlich war es auch diesem Umstand zu verdanken, dass er sich, solange die letzten Polizisten noch vor Ort waren, in der Nähe des Blaulichtes aufgehalten hatte und der einen oder anderen Aufforderung nachkam zu erzählen, was eigentlich geschehen war.
Aber diesem rotbärtigen Motorradgangster hatte er um jeden Preis ausweichen wollen. Was hatte der eigentlich hier zu suchen? War nicht alles schon schlimm genug, ohne dass solche wie er auch noch dort auftauchen mussten?
Später am Abend hatten ihn mit voller Kraft Wehmut und Kummer überfallen. Obgleich ihn, oberflächlich gesehen, nichts mit der toten Frau im Auto verband, empfand er eine bodenlose Trauer angesichts dessen, was passiert war.
Seine Frau hatte ihn des Öfteren fragend angeschaut, insbesondere als er den Fernseher mitten in den Sportnachrichten ausgeschaltet hatte.
Aber sie hatte nicht nachgefragt. Machte sich, um die Wahrheit zu sagen, auch nicht so extrem viel draus, denn sie hatte vollauf mit ihren eigenen Problemen zu tun, wie zum Beispiel das Garn für ihre Stickerei, das sie in einem völlig falschen Farbton erhalten hatte. Ein Motiv mit einem riesigen, blühenden Flachsfeld und einem roten Holzhäuschen im Hintergrund. Die Flachsblüte war doch … nahezu blassblau. Das Garn aber, das sie gerade missmutig in den Händen hielt, war fast azurblau. Wie dumm aber auch! Sie würde dem Kerl im Nähladen deutlich sagen, was sie von seinem unzulänglichen Sortiment hielt!
»Du, ich lege mich jetzt schlafen«, sagte der Mann zu seiner empörten Frau.
»Ja – jetzt schon? Na ja, dann schlaf gut.«
Sie sagte es so dahin, aber vielleicht meinte sie es auch so. Sie hatte es bislang so viele Male in ihrer 42 Jahre währenden Ehe gesagt, dass es ihr eher wie eine einstudierte Phrase über die Lippen kam. Außerdem waren ihre Gedanken bereits zu dem enervierenden Problem mit dem blauen Garn zurückgekehrt.
Wie
Weitere Kostenlose Bücher