Kommissar Joakim Hill - 02 - Die Frau im Schatten
genommen.
»Vielen Dank!« Sie hatte gelächelt und auf diese Weise sein stummes Warten belohnt.
Aber er hatte nur etwas verlegen genickt.
Als er jedoch ganz sicher war, dass sie ihn nicht mehr sah, nahm er genau jenes Kaffeepaket an sich, welches sie einige Sekunden zuvor in ihrer anmutigen Hand gehalten hatte. Diesen Kaffee genoss er bis zur letzten Tasse. Wie ein geheimnisvolles Band vereinigte es ihn mit ihr – wie ein aromatisch duftender Triumph über das bedrückende Desinteresse seiner eigenen Ehefrau. Er erlebte, ohne dass es jemand auch nur geahnt hätte, in seiner eigenen Küche eine heimliche Liebesromanze – eine unvergessliche Liebesgeschichte mittels einem Paket starker Röstung.
Direkt nach diesem Ereignis hatte er begonnen, seine Nachforschungen aufzunehmen. Zuerst beschränkte er sich darauf, im allgemeinen Einkaufstrubel in Råå etwas genauer auf sie zu achten. Doch als er sie dort nicht entdecken konnte, wurde er ungeduldig – fast wie ein verschmähter Liebhaber. Er nahm sich vor, in Zukunft direkt an ihrem Haus vorbeizugehen. Der Hund lieferte ihm dafür das passende Alibi.
Das, was mit einem Paket Kaffee begonnen hatte, entwickelte sich bald zu einer wahren Obsession – einem Lebensziel und einer Leidenschaft. Allein, sich in ihrer Nähe aufzuhalten, wurde ihm im Lauf des Herbstes zum unerlässlichen Bedürfnis. Und Dank des Hundes konnte er dieses mehrmals am Abend befriedigen.
So gesehen war alles von Beginn an eine einzige Lüge gewesen.
Es war also beileibe kein Zufall gewesen, der ihn gestern Abend in ihre Straße geführt hatte, sondern der Wunsch, die Luft ihrer Umgebung einzuatmen.
Allein seine Beobachtungen, das aufmerksame Verfolgen der Geschichten, die sich die Leute im Ort gegenseitig erzählten, und seine eigenen Bemühungen, sich einen Reim darauf zu machen, vermittelten ihm den Eindruck, sie gleichsam kennen gelernt zu haben, ohne dass sie auch nur von seiner Existenz geahnt hätte. Unweigerlich hatte er im Vorübergehen so manchen Kommentar aufgeschnappt, den die Nachbarn im Gespräch auf der Straße fallen ließen.
»Doch, ja, sie wohnt ganz allein in dem Haus. Sie schreibt wohl, oder … ja, sie arbeitet jedenfalls viel am Computer.«
Oder: »Sie kommt aus Blekinge, habe ich gehört. Ich glaube aber, dass sie eine Schwester in der Nähe wohnen hat.«
Er erfuhr auf diese Weise auch von ihren unterschiedlichen Gewohnheiten. Warf neugierige Blicke in ihre Fenster, um zu sehen, wie eine Liebesgöttin wie sie wohl eingerichtet war, und studierte heimlich die Aufkleber auf ihrem Briefkasten, um zu erfahren, anhand welcher Tageszeitung sie sich ihre Meinung bildete.
Und als er sie dann endlich wieder einmal im Laden erblickt hatte, versuchte er darauf zu achten, was sie in ihren Einkaufskorb legte. Wollte sich in seiner immer aufdringlicheren Neugier eine Vorstellung davon machen, welche Lebensmittel sie bevorzugte, womit sie ihre Wäsche wusch und welche Pflegeprodukte sie benutzte.
Sie erkannte ihn wieder und nickte ihm zu, doch er tat so, als merkte er es nicht. Fixierte nur ihren Korb, um den Lebensstil seiner heimlichen Geliebten so ausgiebig wie möglich zu ergründen.
Mit jedem neuen, sorgsam registrierten Detail erhielt er einen weiteren Zugang zu ihrem Leben. Er wusste bereits ihren Namen – der ebenfalls auf ihrem Briefkasten stand. Um ihn zu erfahren, tat er so, als hätte sich die Hundeleine irgendwo verhakt und blieb dann für den kurzen Augenblick, den er benötigte, um das kleine, schmucke und edel gravierte Namensschild lesen zu können, vor ihrem Haus stehen.
Anne Smitt.
Sein Herz machte über das bloße Wissen um ihren Namen einen Sprung – es kam ihm vor, als hieße sie Gloria Halleluja persönlich – und er selbst war vollkommen selig.
Einige Abende später hingegen hatte er sowohl gesehen als auch überdeutlich verstanden.
Ein hastiger Abschiedskuss in der Tür.
Begriffen, dass der Mann, der sie des Öfteren in ihrem kleinen Reihenhaus besucht hatte, keineswegs ihr Vater war.
Der Abschied, dessen Zeuge er zufällig gewesen war, hatte nichts von der Verabschiedung eines Vaters – er war leidenschaftlich und voller Heftigkeit.
Hastig hatte er seinen Hund quer über die Fahrbahn auf die andere Straßenseite gelenkt. Denn angesichts des Afghanen, den der fremde Mann nun zu seinem Auto führte, knurrte sein Hund eine unterdrückte Warnung, und eine Rauferei der beiden Hunde wäre wirklich das Letzte gewesen, was er wollte.
Doch schon
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