Kommissar Morry - Das Phantom

„Vergiß nicht, daß uns der Alte sehr nützlich ist, auch wenn er bei dir ständig seinen eigenen Willen durchsetzen will. Du siehst doch selbst, daß er am Ende doch das tut, was von ihm verlangt wird."
    „Du magst recht haben, Swen. Doch einmal ist bei mir auch das Maß voll. Und dann... !"
    „All skies, du bist ebenso ein Hitzkopf wie Trusty einer ist. Willst alles niederreißen, was sich dir in den Weg stellt. Hm, — hoffentlich bleibt dein Blut ruhig, wenn du mal an einen Stärkeren gerätst. Einen alten Mann hops gehen lassen ist kein großes Kunststück. Das sollen schon Kinder fertiggebracht haben."
    Verächtlich hatte Swen Collins seinen Anführer dabei angeschaut. Einen Moment glaubte er, Austick würde an diesem Brocken ersticken und sich auf ihn stürzen, um zu beweisen, daß es nicht unbedingt ein alter Mann sein mußte, den er mit seiner tierischen Kraft niederzuschlagen verstand. Um für diesen Fall gewappnet zu sein, zog Collins seinen Körper zusammen, hart traten seine Backenmuskeln hervor, und
    wenn er auch niemals gegen Rob Austicks Körperkraft bestehen konnte, so wollte er sich auf keinen Fall überrumpeln lassen. Ein stummes Duell wurde zwischen zwei Augen= paaren ausgefochten, und Swen Collins mußte sich später gestehen, daß seine Augen nicht einen Zoll vor den gelblichen Lichtern in Austicks Pupillen zurückgewichen waren.
    Dieses schien auch ausschlaggebend für den plötzlichen Gesinnungswechsel seines Gegenübers gewesen zu sein. Als sei nichts gewesen, tat Austick das Thema ab:
    „Okay, lassen wir dem alten Trottel seine Wahnvorstellungen und kommen wir zu dem Transport, den ihr beiden gleich durchzuführen habt."
    Da weder Swen Collins noch Emest Pookfield etwas sagten, begann Rob Austick noch einmal seinen Plan in kurzen Zügen aufzuzeichnen.
    „Die Ware geht diesmal zur Bishopsgate an der Liverpool Station. Der Empfänger erwartet euch vor der Station. Alles ist von mir bestens vorbereitet worden. Auf der Strecke haben Lee Raynold, Jeff Parker und Ben Newton die Überwachung übernommen. Alle drei stehen jeweils auf einer Station der Railways. Lee Raynold an der Shadwall, Jeff Parker an der Whitechapel und schließlich Ben Jeffers am Bishopsgate-Goods Depot. Wie abgemacht, besteigt ihr den letzten Wagen und haltet euch an den zur Fahrtrichtung links liegenden Fenstern auf. Wenn irgend etwas anliegen sollte, erhaltet ihr sofort Nachricht und könnt euch darauf einstellen."
    „Soweit ist mir alles klar", unterbrach Ernest Pookfield seinen Anführer. „Aber wie kommen wir mit der Ware auis Limehouse heraus, Rob?"
    „Auch daran habe ich gedacht. Ihr schlagt euch sofort hinter Dickens Saftladen durch die Büsche, betretet also keine der dunklen Straßen von Limehouse, sondern stoßt erst wieder unterhalb der Oriental Street auf die East India Dock Road. Auf dieser belebten und gutbeleuchteten Straße ist nichts zu befürchten. Daß euch auf dieser Road jemand die Ware abzunehmen versucht, ist so gut wie ausgeschlossen."
    „Es sei denn, ein Funkwagen der Polizei würde sich für uns und unser Päckchen interessieren."
    Swen Collins konnte es sich nicht verkneifen, sozusagen den Teufel an die Gangsterwand zu malen.
    „Ein Risiko, das nicht zu unterschätzen ist, aber kaum zu groß sein dürfte, daß wir es nicht eingehen könnten", konterte Rob Austick und warf Swen Collins einen schiefen Blick zu. Dieser jedoch übersah geflissentlich das Boshafte des Obergauners und machte sich an einer Zigarettenpackung zu schaffen.
    „Also auf der East India Dock Road habt ihr nichts zu befürchten", nahm Rob Austick den Faden wieder auf. „Den schlechteren Teil am Regents Canal Dock überbrückt ihr folgendermaßen: Ihr setzt euch in ein um diese Zeit immer vor der Town Hall stehendes Taxi und juckelt mit diesem bis zur Shadwell Station. Das andere wißt ihr bereits. So, und nun wird es Zeit, daß wir zur Morant-Street kommen!"
    In der gleichen Sekunde brach das Trio auf. Vorsichtig die Umgebung sondierend, schlichen sie die leichte Anhöhe zur Narrow Street hinauf. Da alles ruhig blieb, überquerten sie den Fahrdamm und tauchten sofort danach in einer der vielen schiefen und dunklen Gassen von Limehouse unter.

    9

    „... Ernest, es ist soweit!" Mit diesen Worten gab Swen Collins seinem Weggenossen das Zeichen zum Aufbruch. Beide hatten in der Zwischenzeit einen Teil ihrer schäbigen Kleidung gewechselt. Hierfür hatte Dickens Vorratslager, das er sich im Laufe seiner Berufsjahre als