Kommissar Morry - Die Stimme des Terrors
richtig! Klar, gib nur deiner Geliebten die Schuld! Vielleicht war es wirklich Kitty, die den ersten Schritt gewagt hat. Aber das hätte dich, als meinen Freund, nur verpflichtet, sie abzuweisen! Statt dessen hast du die Gelegenheit beim Schopf ergriffen. Erst hast du mich betrogen, und dann hast du Kitty verraten, indem du Sie mir gegenüber bloßstellst. Du bist ein jämmerlicher Waschlappen. Fast bedaure ich, daß Kitty dich nicht hören kann! Ich hasse dich, hörst du? Ich hasse, hasse, hasse dich!"
„Nein!" schrie Roger, als O'Conners die Hand mit der Pistole aus der Tasche zog. „Nein!"
Der Schuß, der dann ertönte, war seltsam leise — ein dumpfes Plopp, wie es eine sachkundig geöffnete Champagnerflasche verursacht. Einen Moment war es ganz still. Dann folgte ein schwerer, dumpfer Aufschlag auf den Boden. Sekunden später schrillte das Telefon. Einmal, zweimal, dreimal. Niemand nahm das Gespräch an.
*
Rockwell schlüpfte in seinen abgeschabten Sommermantel und warf einen letzten Blick in den Garderobenspiegel. Er verzog das Gesiebt zu einer Grimasse. Ich werde alt, dachte er. Wenn man mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen wird, zeigen sich die Linien und Runen der Jahre besonders deutlich. Er öffnete die Tür und verließ die Wohnung. Vor dem Haus parkte der Dienstwagen. Hinter dem Lenkrad saß Bill Donovan, der Fahrer. Rockwell setzte sich neben ihn und sagte: „Fahr zu den O'Conners. Sie wohnen in der Stratford Avenue."
„Ich weiß Bescheid, Sir."
Rockwell schaute auf die Uhr und gähnte. „Ich möchte wissen, warum ich mich in dieser Stadt um alles kümmere. Im Grunde genommen geht mich die Geschichte gar nichts an. Aber Bailey meinte, es könnte etwas für mich sein."
„Kein Mord?"
„Ich hoffe nicht."
Schweigend fuhren sie durch die schlafende Stadt. Erst kurz vor dem Erreichen der Strat- ford Avenue sagte Donovan plötzlich: „Ich habe vor ein paar Wochen Mrs. O'Conners unten am Fluß gesehen..."
„Woher kennst du sie?" unterbrach Rockwell.
„Ehe sie heiratete, hat sie in meiner Gegend gewohnt. Sie ist wirklich nach oben gefallen. Jetzt gehört sie zur High Society. O'Conners ist doch ziemlich vermögend."
„So heißt es jedenfalls. Okay. Du hast die Frau gesehen — was tat sie am Fluß?"
Donovan lachte leise. „Es war schon fast dunkel. Ich war auf dem Heimweg vom Fischen. Da sah ich sie, mit einem Mann, aber nicht mit ihrem..."
„Bist du ganz sicher?"
„Absolut. Die süße Kitty spielte in meinem Viertel eine bedeutende Rolle. Sie galt nämlich weit und breit als das hübscheste Mädchen, und die meisten von uns waren scharf darauf, sich mit ihr sehen zu lassen. Aber sie hatte schon immer die Ambition, nach oben zu blicken, und so hatten wir kaum eine Chance, mit ihr mehr als einen Flirt zu beginnen. Ja, ich kenne sie. Und der Mann? Das war Roger Landville!"
„Hm", brummte Rockwell.
„Die beiden gingen Arm in Arm", erinnerte sich Donovan, „und ganz dicht beieinander — grad so wie ein junges Liebespaar."
„Du sagst, es sei schon fast dunkel gewesen. Kannst du dich unter diesen Umständen und Lichtverhältnissen nicht getäuscht haben?" fragte Rockwell.
„Ausgeschlossen. Ich mußte direkt an ihnen vorbei. Landville beugte mch ein wenig nach vorn, wohl um die Frau vor meinen neugierigen Blicken zu schützen, aber ich habe sie trotzdem erkannt."
„Soso", meinte Rockwell.
Der Wagen glitt an den Rand des Bürgersteiges und hielt. Rockwell stieg aus und schritt auf ein flaches, modernes Bungalowgebäude zu, das von einem kleinen, gepflegten Vorgarten begrenzt wurde. Im Erdgeschoß des Hauses brannte Licht. Als der Inspektor vor der Tür stand, öffnete sie sich. In ihrem Rahmen zeigte sich Kitty O'Conners. Sie trug einen Morgenmantel, war aber sorgfältig frisiert und geschminkt.
„Treten Sie ein, Inspektor", bat sie und führte ihn in das Wohnzimmer. Auf einem kleinen Tischchen stand ein übervoller Ascher. Es roch nach kaltem Rauch. „Bitte, setzen Sie sich", sagte die Frau. „Rauchen Sie?"
„Nein, vielen Dank."
„Darf ich Ihnen einen Whisky anbieten?"
„Ich bin im Dienst, Madame."
Die beiden nahmen Platz. Kitty O'Conners nagte nervös an ihrer Unterlippe herum. „Ich bin in schrecklicher Sorge", sagte sie. „Mein Mann ist verschwunden!"
„Verschwunden?"
„Nun ja — er ist gegen ein Uhr nach einem heftigen Streit aus dem Haus gelaufen und nicht zurückgekehrt."
Rockwell schaute auf die Uhr. „Du lieber Himmel", seufzte er und
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