Kommissar Morry - Die Todesstrasse

,Tagesfragen' erörtert und etwaige neue Coups beratschlagt. Während sich der Zinker behutsam an die Wand neben dem Fenster drückte, spitzte er seine Ohren.
    Mit angehaltenem Atem lauschte er eine geraume Zeit auf die Stimmen, die gedämpft bis zu seinem Lauscherposten herüberdrangen. Ständig hoffte er, daß ein Wort über einen vermißten Komplicen fallen würde. Deswegen hatte er sich schon über drei Stunden von einer Kneipe zur anderen geschlichen. Unendlich langsam reihte sich Minute an Minute, doch das ersehnte Stichwort fiel in dem Billardzimmer des Cockatoo nicht. Wieder einmal war der Vigilant um eine Hoffnung ärmer geworden. Schon wurden ihm die Glieder durch das bewegungslose Stehen seitlich des Fensters steif. Außerdem legte sich die Feuchtigkeit des wogenden Nebels beklemmend auf seine Lungen. Noch eine Minute! Wenn dann das Thema drinnen nicht zur Sprache kommt, auf das ich warte, verschwinde ich hier und spüle meinen Ärger mit scharfen Sachen hinunter! So stellte sich der Lauscher selbst eine letzte Frist. Er horchte erneut auf die Worte, die aus dem Billardzimmer kamen. Diese Minute aber wäre ihm beinahe zum Verhängnis geworden. Jedenfalls hätte es ihn noch schlimmer treffen können, als es nun der Fall war.
    Als er im Begriff war, sich lautlos aus dem Hinterhof des Cockatoo zu stehlen, wurden in der Toreinfahrt zwei Stimmen laut. Ein heißer Schreck durchzuckte ihn. Er suchte gehetzt nach einer Ausweichmöglichkeit. Doch nur zu genau wußte er, daß der einzige Weg aus diesem Hof durch die Toreinfahrt führte. Dieser Fluchtweg war ihm jetzt aber versperrt. Immer näher kamen die zwei Gestalten auf ihn zu. Lauter wurden ihre Stimmen. Immer noch stand der Lauscher wie gebannt neben dem Fenster des Billardzimmers.
    „Wenn ich es dir sage, Sam", hörte der Zinker den größeren der beiden Männer sagen, „dann kannst du es mir getrost glauben! Wir haben seit dem Verschwinden des Päckchens nichts mehr zu lachen! Der Alte ist dermaßen in Fahrt, daß er uns wie dumme Jungens behandelt. Künftig ohne mich..."
    Mitten im Wort brach der Riese plötzlich ab. Seine Augen hatten zufällig den dunklen Schatten neben dem Fenster des Billardzimmers erfaßt. Einen Herzschlag lang stutzte er. Dann sprang er auf den Zinker zu. Dieser war immer noch unfähig sich zu regen, er war zu erstaunt über das eben gehörte. Der Riese griff zu. Der Zinker fühlte sich hochgehoben, er hing schon eine Sekunde später wehrlos zappelnd in der Luft.
    „Komm, Sam!" rief der Riese seinem herbeistürzenden Komplicen zu.
    „Zounds!" knurrte er dann heiser.
    „Was hat der Sonny hier hinten am Fenster des Billardzimmers zu suchen?"
    Noch schien er nicht richtig erfaßt zu haben, was hier gespielt wurde, doch im selben Moment wurde er von dem Riesen aufgeklärt.
    „Was wohl?" knurrte er spöttisch und wischte dem Zinker einmal kurz seine Hand durch das Gesicht. Schon bei dieser, für des Goliaths Verhältnisse harmlosen Ohrfeige, glaubte der Ertappte, sein Kopf werde ihm vom Halse gerissen. Hart prallte er mit seinem Rücken gegen die Hauswand — und hätte der Riese ihn nicht festgehalten, so wäre er auf den schmierigen Boden des Hofes gestürzt.
    Halb benommen vernahm er nur undeutlich die weiteren Worte seines Bezwingers.
    „Die Situation ist doch klar, Sam! — Dieser Halunke hat hier herumgespitzelt. Und warum er es getan hat, werden wir sofort von ihm erfahren."
    Wieder fühlte sich der Zinker hochgehoben. Diesmal ließ ihn der Riese aber nicht zwischen Himmel und Erde hängen, sondern zog ihn dicht an seinen mächtigen Brustkorb heran.
    „Spuck es aus, Spitzel! Aber überlege dir deine Worte genau! Fang nicht an zu flunkern, denn dann könnte es dir schlecht ergehen!"
    Fieberhaft überlegte der Zinker, was er antworten sollte. Keineswegs durfte er den wahren Grund seines Hierseins preisgeben. Das geringste Eingeständnis in dieser Hinsicht kam seiner Selbstaufgabe gleich. Lange genug hielt er sich schon unter diesem Gesindel auf, um die Verhältnisse zu kennen. Well, er war ja sogar einer von ihnen. Er wußte nur zu gut, wie man mit ,Verrätern' verfuhr. Also mußte er irgendeine glaubwürdige Geschichte erfinden. Eine Geschichte, die so gut war, daß in den Männern vor ihm auch nicht der geringste Argwohn zurückblieb. Aber, wo so schnell eine derartige Erklärung für seine Anwesenheit hier im Hof des ,Cockatoo' hernehmen?
    Wild überschlugen sich die Gedanken des Zinkers. Während er mit scheinbar weichen