Kommissar Morry - Die Woelfe
nach Westminster. Das Geld, das sie für den Mietwagen ausgab, tat ihr nicht leid. Vielleicht hätte sie dem Kommissar alles erzählt, wenn nicht die Sehnsucht nach einem Wiedersehen mit Richard Cromwell stärker gewesen wäre. Jeder Anlaß, der sie zu ihm führte, war ihr recht. Nun hatte sie wenigstens einen Vorwand, wenn sie wieder seinen Abendfrieden störte. Es war genau neun Uhr, als sie das vornehme Haus am Russel Square erreichte. Das Gartentor war noch nicht abgeschlossen. Auch die Tür am Portal war nur angelehnt. Zum ersten Mal gelangte sie ohne Schwierigkeiten in das streng behütete Haus. Sie traf erst in der Halle auf den Diener. Der biedere Mann zuckte erschreckt zusammen, als er sie sah.
„Wenn man Ihnen diese drei Monate Gefängnis nicht erlassen hätte“, sagte er, „dann wären Sie nie in dieses Haus gekommen. Welch ein unvorstellbares Glück. Ich würde bestimmt zehn Jahre länger leben, wenn ich Sie nie gesehen hätte.“
„Ersparen Sie sich doch Ihre dämlichen Predigten“, fauchte Daisy Horway ungeduldig. „Wo ist Ihr Herr? Rufen Sie ihn!“
„Mr. Cromwell ist ausgegangen“, sagte der Diener würdevoll. „Er hat im Cafe Edinburgh eine Verabredung.“
„Mit einer Dame?“, fragte Daisy Horway rasch.
„Das weiß ich nicht“, murmelte der Diener frostig. „Auf keinen Fall dürfen Sie ihn dort stören. Er würde Ihnen das nie verzeihen.“
„Gut, dann werde ich hier warten“, sagte Daisy Horway kurzentschlossen. „Lassen Sie mich allein! Mich friert immer, wenn ich Ihr Gesicht sehe.“
Sie ging an den Kamin, ließ sich in einen weichen Sessel fallen und blickte versonnen in die züngelnden Flammen. Hier möchte ich mein Nest haben, dachte sie sehnsüchtig. In diesem Haus könnte ich mich glücklich und geborgen fühlen. Hier käme ich bestimmt nie wieder auf dumme Gedanken. An der Seite eines solchen Mannes gäbe es keine Gefahren. Ich glaube, er würde eine Frau auf Händen tragen.
Die Sehnsucht in ihr wurde wieder groß und übermächtig. Sie hielt es in dieser Einsamkeit einfach nicht länger aus. Das Cafe Edinburgh war nicht besonders weit entfernt. Was schadete es denn, wenn sie dorthin ging? Sie konnte ja an der Tür auf ihn warten. Wenn er wirklich eine dringende Verabredung hatte, so wollte sie ihn nicht stören. So unauffällig wie sie gekommen war, so unauffällig ging sie auch wieder aus dem Haus. Sie kannte nur die ungefähre Richtung, in der das Cafe Edinburgh lag. Hastig lief sie durch die stillen Straßen des vornehmen Viertels. Sie gönnte sich kaum eine Atempause. Sie wollte möglichst bald wieder in die Nähe von Menschen kommen. Regen und Nebel mischten sich zu einem brodelnden Dunst. Weiße Schleier zogen vor ihren Augen auf und ab. Die nächsten Häuser waren kaum zu sehen. Die Laternen hingen wie bleiche Kugeln in der dampfenden Brühe. Nach etwa zehn Minuten stand Daisy Horway vor dem feudalen Cafe. Sie näherte sich den großen Fenstern und spähte durch die Ritzen der Vorhänge. Erstaunt stellte sie fest, daß die meisten Lichter, schon gelöscht waren. Auf den Tischen türmten sich die Stühle. Die gläserne Tür war bereits abgeschlossen. Es nützte Daisy Horway nichts, daß sie heftig daran rüttelte.
„Schluß für heute“, rief die schrille Stimme einer Putzfrau nach draußen. „Hier ist geschlossen. Vor zehn Minuten ging der letzte Gast.“
Vor zehn Minuten, dachte Daisy Horway enttäuscht. Wäre ich etwas früher gekommen, so hätte ich ihn vielleicht noch getroffen. Sie blickte unschlüssig über den weiten Platz. Zaudernd wandte sie sich der Richtung zu, aus der sie gekommen war. Langsam trat sie den Rückweg an. Sie war noch keine zehn Schritte weit gegangen, da hörte sie ihren Namen rufen. Sie stand gerade unter einer Laterne. Sie drehte sich um. Vergebens versuchten ihre Augen den dichten Nebel zu durchdringen.
War es Richard Cromwell gewesen, der sie in mitten des grauen Dunstes erkannt hatte? Kam er hinter ihr her? Wollte er sich ihrer annehmen? Sie wartete. Sie blickte angestrengt zurück. Sie hörte seine Schritte. Eine dunkle Gestalt wuchs aus der weißen Nebelmauer. Sie kam rasch näher. Sie war neben ihr, noch ehe sie einen klaren Gedanken fassen konnte. Daisy Horway spürte, wie ihr die Hände auf den Rücken gerissen wurden. Brutal drängte sie der Fremde an die nächste Hauswand. Seine Linke schloß sich um ihre Kehle. Die Rechte holte zum Schlag aus.
Verzweifelt versuchte Daisy Horway, dem eisernen Griff einer
Weitere Kostenlose Bücher