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Kommissar Morry - Ich habe Angst

Kommissar Morry - Ich habe Angst

Titel: Kommissar Morry - Ich habe Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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Gedanken die Stationen nach. Vierzig Minuten bis Marlon, dachte sie. Ich werde genau um zehn Uhr dort sein. Vielleicht bekomme ich einen günstigen Zug, der mich vor Mitternacht nach London zurückbringt. Sie lehnte sich ans Fenster und blickte durch die Scheibe hinaus in die schwarze Nacht. Sie sah dunkle Bäume, die sich im Herbstwind schüttelten. Sie sah kahle Felder und welke Wiesen. Das alles wirkte trostlos und entmutigend auf sie. Der Zug hielt in einer kleinen Station und fuhr wieder an. Aus dem Nachbarabteil kam ein Mann zu ihr herein. Er war groß und bullig und hatte auffallend große Hände. Er setzte sich ihr gegenüber. Er behielt seine Mütze auf. Sein Gesicht lag im Schatten. Lydia Blomfield nahm von dem Mann kaum Notiz. Sie kannte ihn nicht. Sie hatte ihn nie zuvor gesehen. Und sie ahnte nicht, daß es ein Mörder war, den Alban Lampard zu ihr geschickt hatte. Sie wurde erst nervös und ängstlich, als der Fremde sie unverwandt anstarrte. In seinen Blicken lag ein lauerndes Abwarten. Die behaarten Hände verkrampften sich unablässig zu Fäusten.
    Dann tat er plötzlich, als ob er müde sei und drückte sich gähnend in die Ecke. Er schloß die Augen. Aber Lydia Blomfield sah, daß er sie unter schmalen Schlitzen auch weiterhin anstarrte. Sie fürchtete sich plötzlich vor ihm. Ihre Nerven begannen schmerzhaft zu vibrieren. Ich werde an der nächsten Station in einen anderen Wagen einsteigen, nahm sie sich vor. Irgendwo werde ich ja noch ein paar Fahrgäste, antreffen. Ich möchte für den Rest der Fahrt nicht mehr allein sein. In diesem Moment geschah es. Der Fremde erhob sich, nahm seine Tasche und legte sie in das Gepäcknetz über ihr. Er hielt sich fest. Er blieb sekundenlang vor ihr stehen.
    Dann spürte sie plötzlich einen dröhnenden Schlag auf ihrem Kopf. Sie sank mit leisem Aufschrei zurück. Aber sie war nicht betäubt. Sie war noch bei voller Besinnung. Sie spürte, daß sie von der Bank hochgezerrt wurde. Sie konnte sich nicht dagegen wehren. Sie wurde zur Tür geschleift. Sie spürte einen eisigen Luftzug im Gesicht. Daran merkte sie, daß die Tür offenstand. Gespenstisch dröhnte das Rattern der Räder zu ihr herauf. Sie sah dunkle Schatten draußen vorüberziehen. Es waren Telegraphenmasten, die rasch vorbeiflogen. Sie verlor den Boden unter den Füßen. Sie sah die Trittbretter unter sich. Es konnte nur noch Sekunden dauern, bis sie halb ohnmächtig vor Entsetzen aus dem Zug stürzte. Die Todesfurcht verlieh ihr noch einmal neue Kräfte. Sie schlug wild um sich. Sie biß und kratzte. Sie wehrte sich verzweifelt gegen den brutalen Griff ihres Peinigers. Aber es war alles vergebens. Sie kam nicht gegen ihn auf. Er war stark und brutal. Mit einem einzigen Hieb machte er sie wehrlos. Aber noch einmal sah Lydia Brandon eine rettende Chance. Sie entdeckte die Notbremse. Sie brauchte nur die Hand auszustrecken, nur den Griff zu ziehen. Es war eine Kleinigkeit. Ein rasches Zupacken und der Zug würde zum Stehen kommen. Sie hob die Hand. Ihre Fingerspitzen berührten den Griff. Sie mußte nur noch ziehen. Doch das schaffte sie nicht mehr. Sie brach unter den würgenden Fäusten zusammen. Sie stürzte durch die offene Tür. Dann war alles vorüber. Sie spürte nichts mehr. Der Schmerz hatte aufgehört. Sie lag regungslos neben den Schienen, und der stürmische Wind zerrte an ihren Kleidern. Zehn Minuten später fand man sie. Sie war tot.

    19

    Es war morgens neun Uhr. Jack Havard saß in seinem Büro und brütete verdrossen vor sich hin. Er war enttäuscht wie nie zuvor. Er mußte sich eingestehen, daß er bei Lydia Blomfield immer wieder versagte. Sie schlug seine Ratschläge in den Wind. Sie tat, was sie wollte. Sie war immer anderer Meinung als er. Als Direktor Egerton ins Zimmer kam, blickte Jack Havard kaum auf. Er hatte den Kopf in beide Fäuste gestützt und starrte abwesend ins Leere.
    „Was ist denn los?" fragte Charles Egerton nervös. „Haben wir etwa wieder eine Pleite erlitten? Braut sich ein neues Unheil über unseren Köpfen zusammen?"
    Jack Havard zuckte mißmutig mit den Achseln.
    „Ich sagte Ihnen doch bereits gestern abend am Telephon, Sir, daß Lydia Blomfield eine Beichte ablegte. Wir wissen jetzt, wie damals der Mord an William Springer eingefädelt wurde. Wir haben endlich einen Beweis in den Händen. Lydia Blomfield braucht nur noch vor der Polizei ein Protokoll zu unterschreiben. Dann können Sie mit ruhigem Gewissen der Aufsichtsratssitzung

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