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kommt wie gerufen

kommt wie gerufen

Titel: kommt wie gerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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zurück.
    Bald darauf bemerkte sie überrascht, daß der Dschinn durch das seichte Wasser auf sie zugewatet kam. Er schien etwas zu suchen.
    Sie sah ihm teilnahmslos zu, denn die Müdigkeit hatte jede Neugier in ihr ausgelöscht. Minuten oder Stunden später berührte der Dschinn ihren Arm, und sie und Farrell folgten ihm ans Ufer. Er deutete auf das Wasser und zeigte ihnen, daß sie sich setzen und vom Ufer ins seichte Wasser springen sollten. Ergeben gehorchte Mrs. Pollifax. Dann führte er sie einige Meter zu einem alten Baum zurück, der mit verfaulenden Wurzeln über dem Wasser hing. Hier war kein Strand. Das Wasser schlug gegen das ausgewaschene Ufer und hatte im Laufe der Jahre Treibgut angeschwemmt. Der Dschinn zerteilte die Zweige einer Sumachstaude, die aus den knorrigen Wurzeln wuchs, und sagte leise: »Es ist nicht besonders trocken, aber dafür ist genügend Platz für uns drei.«
    »So?« sagte Mrs. Pollifax, und setzte dann erregt hinzu: »Wird das den anderen nicht auch einfallen?« und bedauerte ihre Worte sofort, denn im Leben gab es nirgends Sicherheit, und sie staunte über sich selbst, daß sie vom Dschinn eine Garantie verlangt hatte. Der aber antwortete ihr nicht, und sie war ihm dankbar dafür. Statt dessen schob er einen dicken Stamm beiseite, der angeschwemmt worden war, und half Farrell, kniend in die winzige Uferhöhle zu kriechen. Sie folgte, und schließlich kam auch der Dschinn nach, schob die Zweige der Staude sorgfältig zurecht und zog den Baumstamm an seinen alten Platz.
    Die kleine Höhle war nicht trocken, aber wenn die Erde auch feucht war, so gab es doch wenigstens keine Pfützen. Die Decke war so niedrig, daß sie alle auf dem Bauch liegen mußten. Farrell ganz innen, Mrs. Pollifax in der Mitte und der Dschinn neben dem Eingang. Hier war es eng, dunkel und wunderbar kühl. Mrs. Pollifax fühlte, wie ihr die Augen zufielen.
    Es war kein Geräusch, das sie weckte, sondern die Ahnung einer nahen Gefahr. Sie hob den Kopf, um das Gebrumm des Motors besser zu hören. Das war kein Flugzeug, sondern ein Motorboot, und es hielt sich so dicht am Ufer, daß es nur wie durch ein Wunder nicht auffuhr. Sie lag stocksteif und halbtot vor Angst, daß sie gleich entdeckt werden würden. Nun befand sich das Boot in der Höhe ihres Verstecks, glitt an ihnen vorbei, und hinter ihm schäumten die Wellen auf.
    Das Wasser kam wie ein Schwall, hob das Treibgut vor ihrer Höhle hoch, bog Zweige und Äste beiseite und drang in ihr winziges Versteck. Eben noch hatte Mrs. Pollifax zum Eingang der Höhle hingesehen, und schon war sie völlig und rettungslos von dem Wasser überspült, das ihre Höhle vom Boden bis zur Decke überschwemmte. »Das also ist das Ende«, dachte sie und zwang sich, den Atem anzuhalten. Als ihre Lungen gebieterisch nach Luft verlangten, schluckte sie Wasser und bäumte sich in Todesangst auf. Sie riß den Kopf hoch und fühlte mit beinahe schmerzlicher Deutlichkeit, daß wieder Luft in ihre Lungen drang. Hustend und keuchend begriff sie, daß das Wasser verebbt war. Sie hatte knapp Zeit, tief Atem zu holen, als auch schon die nächste Überschwemmung folgte.
    Nur langsam glättete sich die Oberfläche des Sees wieder.
    Sie hatten es überstanden. Farrell lag auf der Seite und deutete nur mit dünnem Grinsen an, daß er noch am Leben war. Der Dschinn spie in weitem Bogen das Wasser aus.
    »Beinahe«, sagte Mrs. Pollifax.
    Der Dschinn nickte nur.
    »Ich habe Hunger«, sagte der Dschinn.
    Nur mit großer Anstrengung begriff Mrs. Pollifax, daß er nichts von ihrer kärglichen Mahlzeit abbekommen hatte, und sie tastete ihre Unterröcke ab. Traurig zog sie ein durchweichtes Stück Käse hervor und gab es dem Dschinn. Das Brot hatte sich in seine Bestandteile aufgelöst und war nicht mehr zu finden. Auch die Pistole war naß, also kaum mehr zu gebrauchen.
    Das Flugzeug kehrte wieder und das Motorboot ebenfalls, und in den folgenden zehn Minuten kämpfte jeder stumm und allein gegen das Ertrinken an. Es gab auch fast keine Pausen mehr, denn mehrere Polizeiboote hatten unmißverständlich begonnen, die Seeufer abzusuchen. Jahrhunderte vergingen – wann sind wir hier hereingekrochen, fragte Mrs. Pollifax sich, um eins oder zwei Uhr? –, und jedes Jahrhundert ließ sie kälter und nässer zurück. In was für einer fernen Welt hatte sie sich danach gesehnt, kühles Wasser zu trinken und darin zu baden?
    Wo früher Sonnenkringel den Baumstamm vor der Höhle beschienen hatten und in die

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