Konny Reimann
mal einen interessanten Fall. Viele der dort auf Wellen wartenden sogenannten „Profi-Windsurfer“ würdigten mich, wenn überhaupt, nur eines spöttischen Blickes. Ich war eigentlich nie draußen auf dem Wasser, es war mir bei normalem Wellengang schlicht zu langweilig. Die Surfer sahen in mir aber wohl nur einen, der sich nicht traute oder es nicht konnte. Zudem hatte ich das älteste Equipment, das man sich vorstellen konnte, Ausrüstung der ersten Stunde. Aber alles funktionierte, und ich hatte keinen Bock, mir nur aus Modegründen teuren neuen Schnickschnack zu kaufen. Eines Tages gab es einen ungeheuren Sturm auf dem Meer, und die ganzen Angeber packten ihren Krempel und verzogen sich an den Strand und in die Bootshäuser. Es fegte ein derartiger Orkan an der Küste entlang, dass die Surfer kaum auf dem Bootssteg stehen konnten. Sie mussten sich hinlegen, um die Windstärke zu messen, und trauten ihren Augen nicht. Das Gerät zeigte Windstärke 12, und auf dem Meer muss die Zahl noch etwas höher gelegen haben. Ich wusste, dass ich mit meinem normalen Segel dort draußen nicht viel würde anfangen können, hatte aber noch ein Kindersegel im Auto, das ich jetzt hervorkramte und mit meinem viel zu langen Gabelbaum ausstattete. Die anderen müssen gedacht haben, dass ich komplett durchgedreht sei, bei diesen orkanartigen Böen und noch dazu mit einem Anfänger-Segel für Kleinwüchsige dem Wetter trotzen zu wollen. Mir war das schnurzpiepegal. Im Gegenteil, der Wellengang war wie gemacht für mich, und meine Ambition war es schließlich, immer Neues auszuprobieren. Zudem mochte ich die Gegenwehr der Natur und das Kalte, Stürmische und Schwierige weit mehr als ein paar olle lauwarme Wellen. Also bin ich raus aufs Meer und preschte die wunderbarsten Häuserwandwellen hoch, stemmte mich gegen den heftigen Wind und hatte den Spaß meines Lebens. Um ehrlich zu sein, es war fast unmöglich zu segeln, selbst mit dem Kindersegel brauchte ich eine Vielzahl von Anläufen, um dann allerdings gigantische kleine Strecken inmitten dieser nassen Hölle zurückzulegen. Der Auftrieb war derartig groß, dass mir, an der Spitze einer Welle angekommen, ein ums andere Mal das Brett wegflog. Aber ich surfte und genoss jeden Meter, den ich schaffte. Als ich aus dem Wasser kam, sahen die anderen Surfer irgendwie anders aus. „So klein mit Hut“ sagt man dazu, glaube ich. Auf jeden Fall haben sie mich fortan immer höflich gegrüßt.
Es macht mir einfach immer viel mehr Spaß, das Extreme zu suchen. Meine Surfkappe hatte Teufelshörner obendrauf und symbolisierte ganz gut meine Ausrichtung im Kräftemessen mit der Natur. Erst wenn ich meine Umgebung richtig fühlen kann, macht mir eine Aktion Spaß. An jenem Tag in Südfrankreich war ich wahrscheinlich einer von vielen mit einer sehr guten Windsurf-Technik, aber ich schien der Einzige zu sein, der die Stirn hatte, diesem tosenden Sturm hallo zu sagen. Letztlich konnte ich die Wetterlage einzig und allein mit Kraft meistern, an Technik war nicht mehr zu denken.
Wir hatten uns am Mittelmeer immer eine Stelle gesucht, an der die sogenannten Mistral-Winde das Meer in einen Wellenspielplatz verwandeln. Sie kommen von den Pyrenäen und wehen von Nordwest. Während weite Teile des Mittelmeeres ansonsten eher ruhig und harmlos waren, platzierten wir uns regelmäßig in diesen zuverlässigen „Wind-Revieren“. Aber nicht nur am Mittelmeer konnte es gefährlich werden. „Nordsee ist Mordsee“ war (und ist) auch so ein wahrer Spruch. Auch dort konnte man sprichwörtlich gut untergehen. Und ich habe da oben so einige meiner Bretter zerlegt, was mir wiederum gezeigt hat, dass ich zum richtigen Zeitpunkt und an der richtigen Stelle auf dem Wasser war.
Das Erstaunlichste an diesen ganzen Trips war: Ich habe sie ohne Alkoholkonsum absolviert. Ich war so in meinem Ziel gefangen, Abenteuer zu erleben, so fokussiert auf die Ideen und ihre Umsetzung, dass alles andere nebensächlich war. Tatsächlich habe ich überhaupt erst mit 32 Jahren das erste Bier getrunken. Ich bin darauf noch nicht mal außergewöhnlich stolz, denn es passierte einfach. Wenn wir nach Südfrankreich fuhren, dachte ich eher an eine Reserveachse als an einen Kasten Bier. Ich wusste vorher, wir werden wieder so einen absoluten Nonsens ausbrüten, dass es klug sein könnte, eine zweite Achse im Gepäck zu haben. Ob ich am Rande all dieser Trips Alkohol oder Kokosnusssaft trank, war absolut zweitrangig. Wichtiger waren mir
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