Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie
Verwendungszweck für Magnesiumpulver. Der Begriff Liebe ist ihm fremd. Entweder hat er eine Freundin oder er hat keine. Über Gefühle kann er nicht reden. Ihm geht es um Sex und darum, etwas vorzuweisen zu haben. Er wirkt gut aufgelegt, lächelt, scheint seine Umgebung zu dominieren, aber ich halte ihn im Grunde für abgestumpft und ziemlich einfältig. Ohne die Fähigkeit, sich in die Gefühle anderer hineinversetzen zu können.«
»Ein Psychopath?«
»Das hast du gesagt. Und es ist ein Begriff, mit dem ich noch nie so recht etwas anfangen konnte.«
»Und jetzt wirst du ihn durch die Mangel drehen, bis er gesteht?«
»Ich gebe mir alle Mühe, ihn dahin zu bringen, wo er hinmuß, wie er selber weiß. Um weiterzukommen.«
»Aber was ist, wenn du das nicht schaffst? Haben wir auch so genug, um Anklage erheben zu können?«
»Vielleicht nicht. Und das macht mir Sorgen.«
»Wie ist es möglich, sein Opfer so übel zuzurichten, wie dieser Mörder es getan hat, ohne deutliche Spuren zu hinterlassen?«
»Das passiert doch immer wieder.«
»Im Auto gibt es keine Spur von Poona. Keine Faser, kein Haar. Hätten wir nicht etwas finden müssen?«
»Ihre Kleider waren aus Seide. Die sondert keine Fasern ab, anders als Wolle oder andere Stoffe. Und ihre Haare waren straff geflochten.«
»Was hat er mit den Gewichten gemacht?«
»Das weiß ich nicht. Auf denen waren keine Spuren. Er hat aber ziemlich viele. Vielleicht hat er die, die er als Waffen benutzt hat, weggeworfen. Ich will folgende Personen zur Vernehmung hier sehen. Melde dich bei ihnen und schaff sie so schnell wie möglich her: Ulla Mørk. Linda Carling. Ole Gunwald. Anders Kolding. Kalle Moe. Und Lillian Sunde.«
Er sah Skarre an. »Sonst noch was? Hat Sara angerufen?«
»Ja. Kollberg liegt noch immer flach.«
Der Hund musterte ihn traurig, als er das Zimmer betrat. Er bewegte halbherzig die Beine und gab dann auf. Sejer blieb hilflos stehen und sah ihn an. Sara kam aus der Küche.
»Wir müssen ihn wohl ein wenig unter Druck setzen? Solange wir ihm das Essen in den Mund schieben, braucht er sich doch auch keine Mühe zu geben.«
Gemeinsam versuchten sie, Kollberg auf die Beine zu hieven. Sara vorn und Sejer hinten. Seine Füße rutschten seitwärts weg. Aber sie hielten ihn fest. Er wimmerte und sank in sich zusammen. Sie hoben ihn wieder hoch, mit demselben Erfolg. Er versuchte, ihnen ihren Willen zu tun, um danach seine Ruhe zu haben, aber sie ließen ihn nicht in Ruhe. Immer wieder zogen sie ihn hoch. Sara holte einen kurzen Läufer, auf dem er nicht wegrutschte. Das half. Der Hundekörper zitterte, als die fünfzig Kilo die Beine belasteten.
»Jetzt hat er einige hundert Gramm von sich selber hochgehoben«, meinte Sejer optimistisch. Sara wischte sich den Schweiß ab. Ihr langer Pony fiel ihr immer wieder in die Augen, und sie mußte lachen.
»Jetzt rappel dich schon auf, du Riesenvieh«, schrie sie. Dann lachten sie beide. Ermutigt von soviel guter Laune riß Kollberg sich zusammen und konnte sich einige Sekunden auf den Beinen halten. Dann gaben sie nach, und er sank mit einem glücklichen Kläffen in sich zusammen.
»Ja, verflucht«, schrie Sara. Sejer musterte sie erschrocken.
»Das schafft er. Wir müssen jeden Tag ein paar Trainingsrunden schieben. So schnell werfen wir die Flinte nicht ins Korn.«
»Ich hole eine Wurst«, sagte Sejer glücklich und jagte in die Küche. Kollberg schaffte es derweil, einige Zentimeter über den Boden zu kriechen. Sejer kam wieder ins Zimmer, in der einen Hand hielt er einen Whisky, in der anderen einen Wurstzipfel. Er blieb stehen und lächelte, für seine Verhältnisse überraschend breit. Sara prustete los.
»Was ist los?« fragte Sejer unsicher.
»Du siehst aus wie ein großes Kind«, sagte sie. »Jetzt hast du keine Hand frei, und ich kann mit dir machen, was ich will.«
Er wurde vom Telefon gerettet. Er warf Kollberg die Wurst hin und nahm den Hörer ab.
»Alle wissen Bescheid«, sagte Skarre eifrig. »Sie kommen morgen der Reihe nach dran. Abgesehen von Anders Kolding.«
»Was ist los?«
»Der hat sich von Frau und allem davongemacht. Offenbar nach Schweden. Da hat er eine Schwester. Ich möchte wissen, was das zu bedeuten hat.«
»Das Kind hat Koliken«, sagte Sejer. »Er konnte das sicher nicht mehr aushalten.«
»Was für ein Feigling. Sollen wir ihn verschonen, was meinst du?«
»Absolut nicht. Den schnappen wir uns.«
Er legte auf und leerte sein Glas in einem Zug.
»Himmel«,
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