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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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wohnen.«
    Mit großen Augen starrte Kalle auf die Windschutzscheibe. »Ich fahre sofort los«, rief er. »Kümmer du dich um deine Schwester, ich übernehm den Rest.«
    »Danke«, sagte Gunder. Die Erleichterung trieb ihm Tränen in die Augen. »Sag Poona, daß es mir leid tut.«
    Kalle fuhr los, ließ das Taxameter aber ausgeschaltet. Wenige Minuten darauf jagte der weiße Mercedes über die E 6.
     

ER KEHRTE ZU MARIE ZURÜCK. 
    Alles war still. Seltsam, daß sie nicht selber atmen konnte. Er stellte sich den Lungenflügel wie einen dünnen, von scharfen Knochensplittern durchbohrten Ballon vor. Dann fiel er in sich zusammen und war platt. Aber die Ärzte hatten ihn wieder in die ursprüngliche Form gebracht. Die Risse würden von selber heilen, hatte der Arzt gesagt. Auch das war seltsam. Gunder schaute auf die Uhr. In regelmäßigen Abständen kam eine Krankenschwester herein. Sie lächelte Gunder an. Und dann meinte sie, er solle ein Päuschen machen und einen Happen essen.
    »Ich bringe bestimmt nichts runter«, sagte Gunder. »Dann hole ich Ihnen etwas zu trinken.« Langsam glitt er in eine Art Dämmerschlaf. Das Beatmungsgerät machte ihn jetzt schläfrig, es war so präzise wie ein Uhrwerk. Saugte Marie die Luft aus der Brust, preßte sie hinein, saugte sie heraus. Es war zwei Minuten nach sechs. Er dachte, jetzt landet Poonas Maschine. Lieber Gott, mach, daß Kalle schon da ist. Daß er sie im Gewimmel findet. Er starrte seine Schwester an. Ihm ging auf, daß er sich mit keinem Wort nach dem Unfall erkundigt hatte. Was war mit dem anderen Auto? Und mit dessen Insassen? Warum hatte die niemand erwähnt? Ihm kam der entsetzliche Gedanke, daß sie vielleicht tot waren. Daß Marie in einem Albtraum erwachen würde. Er dachte an Karsten, der von allem keine Ahnung hatte. Saß er jetzt vor einem frisch gezapften Bier, umgeben von lärmenden deutschen Trinkliedern? Jetzt holt Poona gleich ihr Gepäck, dachte er, und sie weiß nicht, was passiert ist. Kalle sucht. Er konnte sich genau vorstellen, wie Kalles graumelierter Kopf sich in die Menge reckte. Wieder schaute die Krankenschwester herein. Gunder faßte sich ein Herz.
    »Was ist eigentlich passiert?« fragte er. »Bei diesem Unfall? Mit wem ist sie zusammengestoßen? Mit einem anderen Auto?«
    »Ja«, war die Antwort.
    »Und was ist mit dem?«
    »Das ist nicht sehr gut gegangen«, sagte die Frau ausweichend.
    »Ich will wissen, was passiert ist«, sagte er eindringlich. »Vielleicht wacht sie auf und fragt mich. Ich muß wissen, was ich ihr dann antworten soll.«
    Die Krankenschwester blickte ihn mit ernster Miene an.
    »Er ist auch hier. Aber wir haben ihn nicht retten können.« Sie beugte sich über Marie und hob ihre Augenlider hoch. Er sah den blinden Blick ihrer Augen und schluckte hart. Ein Mann war tot, und Marie war vielleicht daran schuld.
    Dann kam noch eine Krankenschwester. Sie hielt ein schnurloses Telefon in der Hand. Sein Herz machte vor Erwartung einen Sprung. Es war Kalle.
    »Ich kann sie nicht finden«, sagte der atemlos. »Sie muß ein anderes Taxi genommen haben.«
    Gunder geriet in Panik. »Hast du sie denn gar nicht gesehen?«
    »Ich hab überall gesucht, und ich hab sie ausrufen lassen, aber sie muß Gepäckausgabe und Zoll unglaublich schnell passiert haben. Ich hab mich bei der Information erkundigt, ob sie sich da gemeldet hat, und dann ist sie ausgerufen worden. Aber sie ist nicht gekommen.«
    »Wann warst du dort«, stammelte Gunder.
    »Weiß nicht so recht. Ich bin so schnell gefahren wie möglich«, sagte Kalle unglücklich. Er tat Gunder leid, weil er so ganz ohne Grund ein schlechtes Gewissen hatte.
    »Sicher ist sie auf dem Weg zu dir«, meinte Kalle dann. »Vielleicht sitzt sie auf der Treppe. Ich fahre gleich hin.«
    »Danke«, sagte Gunder.
    Er gab das Telefon zurück. Die Schwestern musterten ihn fragend, aber er schwieg. Jetzt konnte er nicht mehr sprechen. Und Marie hörte ihn ja doch nicht. Eine Ewigkeit verging, und dann teilte Kalle mit, daß Poona nicht bei seinem Haus auf ihn wartete. Vielleicht ist sie gar nicht mit diesem Flug gekommen, dachte er verwirrt. Sicher kann man bei der Lufthansa anrufen. Die Lufthansa könnte bestätigen, ob sie an Bord gewesen sei. Er lief zum Telefon und rief am Flughafen an. Und dort hieß es, ja, Frau Poona Bai sei mit der Lufthansamaschine aus Frankfurt gekommen. Die Maschine sei pünktlich um achtzehn Uhr gelandet. Gunder ging zurück ins Krankenzimmer. Betrachtete wieder seine

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