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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Schwester im Bett. Sein Körper fühlte sich schwer an, und er war unsäglich müde. Widerwillig stand er auf und lungerte vor der Tür des Stationszimmers herum. Erklärte, er müsse los, etwas sei passiert, er versprach jedoch zurückzukommen. Ob sie ihn anrufen würden, wenn sich an Maries Zustand etwas änderte?
    Sie blickten ihn verwundert an. Aber natürlich würden sie anrufen. Dann fuhr er nach Hause. Saß in Gedanken versunken hinter dem Steuer und war fast schon zu Hause, als ein Auto in hohem Tempo an ihm vorüberraste. Es war weit auf seine Seite herübergeschwenkt. Er riß seinen Wagen nach rechts und keuchte auf. Für einen Moment stand sein Herz still. So schnell konnte das also passieren. »Fahr früher los, wenn du es so eilig hast«, fauchte er den Rückspiegel an. Das Heck eines weißen Saabs verschwand hinter der Biegung.
    Um halb zehn schloß er seine Haustür auf. Setzte sich in den Sessel und betrachtete das Bild von sich und Poona. Schließlich kam die Nacht. In ihm tobte ein wilder Aufruhr. Hatte sie alles mißverstanden? Sollte er die Polizei anrufen? Aber sie konnten doch nicht einfach so eine Suchaktion starten? Wo sollten sie denn suchen? Er blieb die ganze Nacht im Sessel sitzen. Immer, wenn er in der Ferne ein Auto hörte, fuhr er hoch und riß den Vorhang beiseite. Alles hat eine Erklärung, dachte er. Jeden Moment würde ein Taxi vor dem Haus vorfahren. Endlich würde sie bei ihm sein. Er schielte zum Telefon hinüber. Das blieb stumm. Was bedeutete, daß Marie noch immer bewußtlos war und keine Ahnung hatte, nicht von ihrem eigenen Zustand, nicht von dem Mann aus dem anderen Auto, der tot war, und nicht von Poona, die nicht kam und nicht kam.
    Die ganze Zeit hielt er das Bild in der Hand. Schaute die seltsame gelbe Tasche an, die sie immer um die Taille trug. So eine hatte er noch nie gesehen. Er dachte daran, wie sie ihn auf die Nase geküßt, wie sie mit warmen Händen sein Gesicht gestreichelt hatte. Wie sie sein Hemd hochgestreift und ihren Kopf darunter versteckt hatte. Und wie sie dann an seinem Herzen horchte. Er hielt sich das Bild vor die Augen. Ihr Gesicht war so klein. Es verschwand hinter seinen Fingerspitzen.
     

AM NÄCHSTEN TAG, 
    dem 21. August, fuhr ein Streifenwagen langsam auf der Hauptstraße nach Elvestad. Die weiße Motorhaube leuchtete in der Sonne. Zwei Männer starrten durch die Windschutzscheibe. In der Ferne versuchten sie eine Gruppe von Menschen auszumachen.
    »Da«, sagte Skarre.
    Sie entdeckten links eine Lichtung. Eine von dichtem Wald umkränzte, mit Blumen bewachsene Wiese. Hauptkommissar Konrad Sejer schaute zum Waldrand hinüber, wo ihre Kollegen bei der Arbeit waren. Dieser ganze Bereich der Wiese war abgesperrt, und außerdem war ein Gang abgeteilt worden, den sie offenbar benutzen sollten. Die Männer stiegen sofort aus und stapften durch das hohe Gras. An vielen Stellen war es bereits platt getreten. Noch lange, dachte Sejer, wird diese Schneise aussehen wie eine offene Wunde. Auf der Straße hatten sich die Schaulustigen versammelt. Kinder auf Fahrrädern, zwei Autos. Und natürlich die Presse. Bis auf weiteres ausgesperrt, aber ihre Kameralinsen funkelten bereits angriffslustig. Sejer war die Sorte Mensch, die man am Gang erkennt. Bedächtig schritt seine hohe Gestalt durch das Gras. Niemals hatte er etwas Hastiges oder Übereiltes an sich. Und er dachte immer nach, ehe er etwas sagte. Junge Menschen, die ihn nicht kannten, hielten ihn oft für dickfellig. Andere bemerkten sein ruhiges Wesen und vermuteten einen Mann, der nur selten Dinge tat, die er später bereuen mußte, und dem noch seltener ein Fehler unterlief. Seine graumelierten Haare waren kurz geschoren. Er trug einen schwarzen Rollkragenpullover und eine offene braune Lederjacke. Die Kollegen wichen auseinander, so daß er freie Bahn hatte. Jacob Skarre kam zwei Meter hinter ihm, Sejer versperrte ihm die Aussicht. Aber plötzlich lag sie vor ihm. Skarre holte ganz tief Luft. Was hatte Holthemann noch am Telefon gesagt?
    Ungewöhnlich schrecklich zugerichtet .
    Sejer glaubte, vorbereitet zu sein. Breitbeinig trat er vor die im Gras liegende Frau. Ihr Anblick verwirrte ihn. Er sah einen Zopf, der sich im grünen Gras wand wie eine Schlange. Die Reste eines Gesichts, bis zu den Knochen zerfetzt. Nichts war noch an Ort und Stelle. Ihr Mund war ein klaffendes rotschwarzes Loch. Die Nase war gegen die Wange gepreßt worden, und er konnte in dem vielen roten Fleisch die Augen nicht

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