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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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ist Wald, kein Mensch zu sehen. Ich bin ganz allein, und die Vögel sind still, denn es ist Abend, aber noch nicht dunkel, und jetzt biege ich um die Kurve und nähere mich der Wiese auf Hvitemoen. In der Ferne sehe ich die Vorderfront eines roten Wagens. Was steht auf dem Nummernschild? Das kann ich nicht sehen. O verdammt! Ich nähere mich und muß ausweichen. Dann sehe ich rechts eine Bewegung, weit weg, auf der Wiese sind Leute, was machen die bloß? Rennen herum wie Kinder, und dabei sind sie erwachsen. Sie versucht, ihm zu entkommen, aber er hält sie am Arm fest. Er ist schneller, sie scheinen zu spielen, es ist fast wie ein Tanz, und jetzt weiche ich aus und fahre an dem Auto vorbei, das ist leer, aber am Seitenfenster kann ich etwas Weißes sehen. Und ich bin mitten auf der Straße, gleich vor der Kurve, und muß machen, daß ich an den Straßenrand komme, aber ich schaue noch einmal zur Wiese hinüber, wo die beiden gerade in das hohe Gras fallen. Der Mann liegt über der Frau. Ich sehe einen Arm, der sich ausstreckt, und der Mann beugt sich darüber, und ich denke, Gott, die wollen mitten auf der Blumenwiese miteinander schlafen, die sind noch nicht ganz dicht! Er trägt ein weißes Hemd, sie hat dunkle Haare. Er ist größer als sie, breiter. Seine Haare, die sind doch blond? Ich bin schon vorbei und schaue mich ein letztes Mal um. Sie sind im Gras verschwunden. Aber der Mann war blond, und am Autofenster klebte ein Aufkleber. Ich muß unbedingt Jacob anrufen.
     
    Gunder wollte nicht zurück in das leere Haus. Am liebsten wäre er auf der Wache geblieben, hätte die Nacht in Sejers Büro verbracht. In der Nähe der Schmuckstücke. Erreichbar, falls irgendwer entscheidende Informationen über die Tote liefern könnte. Es konnte nicht Poona sein! Er hatte sie ja nicht sehen dürfen. Ich bin feige, dachte Gunder, ich hätte darauf bestehen müssen. Er bedankte sich bei der Polizistin und stieg die Treppe hoch. Er brachte es nicht über sich abzuschließen. Ging ins Wohnzimmer. Nahm das Bild von sich und Poona aus der Schublade, wo er es versteckt hatte. Schaute sich die gelbe Tasche an. Wenn sie sich nun irrten? Sicher war nicht nur eine Bananentasche produziert worden, sicher gab es hundert oder tausend. Marie, dachte er. Meine Arbeit. Alles fällt in Stücke. Was hatte der Mann im Flugzeug noch gesagt? Die Seele bleibt in Gardermoen zurück. Plötzlich verstand Gunder, wie das gemeint gewesen war. Er war eine zerknitterte Hülle, wie er hier im Sessel saß. Er erhob sich und setzte sich wieder, lief ruhelos im Haus hin und her. Eine Motte, die auf der Suche nach Licht um herflatterte.
     

DIE GANZE WACHE BRODELTE. 
    Dreißig Menschen arbeiteten rund um die Uhr. Alle waren einfach nur wütend über das, was passiert war. Eine Ausländerin, eine Braut fast, war mit einer Silberbrosche auf der Brust nach Norwegen gekommen. Jemand hatte sie unmittelbar vor ihrem Ziel ermordet. Diesen Fall wollten sie klären, diesen Mann wollten sie finden. Dieser unausgesprochene Beschluß sorgte dafür, daß sie den Kopf hochhielten und ihren Blick festigten. Eine Pressekonferenz wurde abgehalten. Die stahl kostbare Zeit, zugleich aber wollten sie dem norwegischen Volk in die Augen schauen und sagten: Das schaffen wir. Sejer hätte sich das lieber erspart. Überall sah er Reporter und Kameras. Einen metallischen Wald aus Mikrofonen auf dem Tisch. Er spürte ein unheilverkündendes Jucken. Er hatte ein Ekzem, und das machte ihm besonders zu schaffen, wenn er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte. Auf seiner linken Seite saß Abteilungsleiter Holthemann, auf seiner rechten Karlsen. Es gab kein Entkommen. Die Presse und das Volk hatten aus irgendeinem Grund eine Reihe von Ansprüchen. Auf Bildmaterial, Strategien, Fortschritt, Informationen über die Zusammensetzung des Fahndungsteams, über ihre Erfahrungen und die Fälle, an denen sie bisher gearbeitet hatten.
    Und dann ging es los. Gab es schon einen Verdächtigen? Konnten sie eine Art Motiv erkennen? War die Frau vergewaltigt worden, war sie identifiziert, waren am Tatort wichtige Spuren gefunden worden, stand die Herkunft der Frau fest, wie alt mochte sie gewesen sein? Wie viel Hinweise aus der Bevölkerung waren eingegangen, hatten sie die Nachbarn befragt, wie groß war die Gefahr, daß der Täter noch einmal zuschlagen könnte?
    Woher zum Teufel soll ich das wissen , dachte Sejer gereizt. Was war mit der Waffe? Konnte er überhaupt irgend etwas sagen? War es

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