Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
Aktion. Der Transfer einer bekannten Metapher |258| aus dem klassischen Filmgenre machte aus dem Copyright-Thema eine Story von Gut und Böse, eine Geschichte, die nach einer
Konfrontation zu einem – wenn auch nicht immer befriedigenden – Showdown führt.
Abbildung 7: ubermorgen.com, Amazon Noir. The Big Book Crime, 2006/2007
(Quelle: Netzprojekt, Screenshot)
Amazon Noir. The Big Book Crime
endete mit einem Verkauf der Software an den Online-Buchhändler Amazon – so jedenfalls endet der Plot auf der Projektwebsite
ubermorgen.com Mitglied Hans Bernhard beschreibt das Experimentieren und die Beobachtung von Reaktionen auf mediale Aktivitäten
und Grenzüberschreitungen als einen Hauptaspekt der künstlerischen Intentionen der Gruppe: »Ich bezeichne das als Freestyle-Grundlagenforschung.
Wir bauen ein Setting und beobachten dann, was passiert soziologisch, medial und technologisch. Dabei hatten wir keinen festen
Plan für den Ausgang.« (ebd.)
Das Projekt löste eine heftige Mediendebatte zum Thema Rechte aus und resultierte in juristischen Streitigkeiten mit dem Anbieter.
Diese Entwicklungen waren beabsichtigter und geplanter Teil des Projekts, da sie offensichtlich machten, was geschieht, wenn
kommerzielle und private Interessen und die öffentliche Verbreitung von Daten im Internet aufeinander prallen.
|259| Resümee
Die genannten Beispiele zeigen unterschiedliche Strategien in aktuellen künstlerischen Projekten, welche die Manipulation
und Rekombination von Daten, Sounds und visuellen Informationen als ein kulturelles Prinzip zur Reflexion medialer Inhalte
nutzen. Sie bedienen sich der allgegenwärtigen Konsumkultur, greifen auf ihre Bilder zurück, widersetzen sich aber dem passiven
Konsum und bieten Möglichkeiten und Chancen des kreativen Agierens und des Umdeutens vorhandener Strukturen und gesellschaftlich
kultureller Muster. Sie schaffen Alternativen zu Produkten, die ein globalisierter Markt vorgibt. Sie nutzen die Werkzeuge
und Möglichkeiten des Kapitalismus, um neue und progressive Wege einzuschlagen und Diskussionen über eine zunehmend dominante
Gesellschaft des Konsums anzuregen.
Die neuen Möglichkeiten im World Wide Web ermöglichen jedem Einzelnen, sich an kulturellen Prozessen aktiv zu beteiligen.
Es gilt, die Chancen und Möglichkeiten einer Open Source-basierten Kultur aufrechtzuerhalten und nicht in Abhängigkeit von
großen Systemen und Plattformen zu geraten, um das 21. Jahrhundert zu einem
Jahrhundert des Konsumenten
zu machen, der selbstbestimmt entscheidet und teilhat an Entscheidungsprozessen in einer globalisierten Welt.
Literatur
Arcangel, Cory (2007), »On Tinkering and Doing Stuff«, Interview mit Martin Wisniowski, August, in:
Digital Tools
, http://digitaltools.node3000.com/interview/ interview_cory_arcangel.php, 29.05.2008.
Bernhard, Hans (2006), »Geistiges Eigentum rekombinieren« im Gespräch mit Ritchie Pettauer, in:
Telepolis
, 22.11., http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/ 24034/1.html, 29.05.2008.
Grossman, Lev (2006/2007), »Time’s Person of the Year: You«, in:
Time Magazine
, December 25, 2006/January 1, 2007, Vol. 168, No. 27/28, Cover, siehe auch http://www.time.com/time/magazine/article/0,9171,1569514,00.
html, 20.05.2008.
Kerckhove, Derrick de (2005), »Hybrid: Elemente einer Remix-Kultur«, in: Gerfried Strocker/Christine Schöpf (Hg.),
Ars Electronica 2005. Hybrid – living in paradox
, Ostfildern, S. 18–19.
Wallis, Simon (2002), »Pop: The Soundtrack to our lives«, in: Ders.,
remix: contemporary
art & pop
, London, S. 13.
|260| Weibel, Peter (2007),
YOU_ser: Das Jahrhundert des Konsumenten
, ZKM | Medienmuseum , Broschüre zur Ausstellung.
1
YOU_ser: Das Jahrhundert des Konsumenten
, Kurator: Peter Weibel, ZKM | Medienmuseum, seit 21.10.2007.
2
Die vorgestellten künstlerischen Arbeiten wurden in der Ausstellung »My own private reality. Generation Internet wird erwachsen«
gezeigt, die vom 12. Mai bis zum 1. Juli 2007 am Edith-Ruß-Haus für Medienkunst in Oldenburg zu sehen war und die von Sarah
Cook und Sabine Himmelsbach kuratiert wurde, vgl. http://www.myownprivatereality.wordpress. com, 03.06.2008.
3
Der als Marketing-Schlagwort eingeführte Begriff
Web 2.0
hatte großen Widerhall in den Medien. Die Bezeichnung kommt aus der Software-Entwicklung und ist angelehnt an die Entwicklungsstufen
von Computerprogrammen und Software-Versionen, die in immer kürzeren Zeitabschnitten verändert
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