Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
seinem Buch
Kritik der Warenästhetik
von 1971 noch weiter, indem er ausgehend von der kritischen Theorie die Manipulation der Massen untersuchte. Neben diesen
konsumkritischen Überlegungen rückten aber auch erste ökologische Fragestellungen in den Blickpunkt sowie die Forderung nach
einer emotionaleren Produktästhetik. Aus Protest gegen den in Institutionen nach wie vor vorherrschenden Funktionalismus schlossen
sich vielfach Privatinitiativen zusammen, um losgelöst von Paradigmen an eigenen gestalterischen Antworten zu arbeiten.
Aufgrund ihres theoretisch fundierten Ansatzes, »weniger Konsum durch mehr Sinnlichkeit« (IDZ 1974: 58) hervorzurufen, ist
hier vor allem die Des-In-Gruppe um Jochen Gros zu nennen. Diese Designinitiative wurde anlässlich eines Wettbewerbsbeitrages
für das Internationale Design Zentrum Berlin (IDZ) gegründet. Sie widmete sich der »Wiederverwertung gebrauchter Materialien
und setzte sich für selbstbestimmte Lebens- und Arbeitsformen ein« (Eisele 2005: 119). Des-In stellte in einer Produktionskommune
aus Abfallprodukten wie beispielsweise Siebdruckplatten neue, |60| selbst gestaltete Waren her und verkaufte diese direkt
ab Werk
oder auf Flohmärkten. Es entstanden beispielsweise ein Sofa aus alten Autoreifen (Abbildung 1) oder Kastenmöbel aus Teekisten,
bei denen die Suche nach geeigneten Rohstoffen, die Zusammenstellung verschiedener Abfallprodukte und die handwerkliche Zusammenfügung
eine besonders enge Beziehung zum Produkt – und somit einen hohen Grad der Aneignung darstellten. Außerdem wurde damit das
Ziel der Langlebigkeit verfolgt.
Die gestalterische Auswahl der einzelnen Materialstücke und das Aufbringen von Textelementen wie die Wortmarke Des-In oder
Maßangaben auf Verbindungsknoten waren weitere Maßnahmen, um einen emotionalen Bezug zu den Produkten herstellen. Des-In nutzte
die Strategie der Umdeutung, wie sie von Roland Barthes mit dem Satz »Ist die beste Subversion nicht die, Codes zu entstellen,
statt sie zu zerstören?« (Barthes 1974: 141) beschrieben wird, auf drei Ebenen. Die Verwendung von industriellen Abfall-Materialien
zur Herstellung neuer Einrichtungsgegenstände stellte Konsumgewohnheiten auf den Kopf. Ebenso die Ablehnung einer rein industriellen
Produktion. Die Rückbesinnung auf eine handwerkliche Produktion in kleinen Einheiten bot für sie darüber hinaus das Potenzial,
»auch gewisse Gewinneinbußen gegen Selbstbestimmung und Spaß am Arbeitsplatz aufzurechnen« (IDZ 1974: 75).
Subversive Konsum-Angebote durch Memphis
Auch in Italien rebellierten Mitte der sechziger Jahre junge Architekten und Gestalter gegen den Mainstream der Moderne, den
Konsum sowie die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen. Unter dem Titel Radical-Design oder auch Anti-Design wurden antikommerzielle
Entwürfe in Form von Zeichnungen, Fotomontagen, Konzepten und Utopien erstellt, denn die Gestaltung realer Produkte war für
die Designer nicht mehr vorstellbar. 1979 folgte der Zusammenschluss von Entwerfern zum Studio Alchimia. Obwohl die Gruppe
aus dem Radical-Design hervorging, verzichtete sie auf politische Stellungnahmen. Vielmehr stellte sie die Paradigmen der
Moderne auf formalem Wege, durch subversive Techniken wie das Banal-Design 3 oder das Re-Design 4 in Frage. Nicht Massenprodukte, sondern »witzig |61| fantastische, poetische und ironisch handwerklich gefertigte Unikate« (Schneider 2005: 155) wurden angestrebt.
Der italienische Designer Ettore Sottsass verließ aufgrund inhaltlicher Differenzen Studio Alchimia 1981 und gründete mit
anderen Designern die Gruppe Memphis. Diese Gruppe lehnte den intellektuellen und kunsthandwerklichen Ansatz von Studio Alchimia
ab: Sie bekannte sich zu industrieller Produktion, zu Werbung und Vertrieb der entworfenen Produkte. Im damaligen kulturellen
Kontext ist diese Entscheidung revolutionär und subversiv zugleich, denn sie unterwandert die funktionalistisch geprägte Industrie
mit ihren eigenen Techniken. Auch hier stand – im Gegensatz zur Moderne – eine Emotionalisierung der Produkte und damit gefühlsmäßige
Aneignung im Vordergrund. Sie wurde durch figürliche Formen, grelle Farben und vielfältige, collagehafte Oberflächen erzeugt.
Vor allem das minderwertige, aus den fünfziger Jahren bekannte
Laminat
wurde aufgegriffen und Bestandteil eines neuen, expressiven Möbeldesigns. Die Dekore erinnerten in ihren grellen Farben und
Strukturen an Comics und
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