Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kontaktversuche

Kontaktversuche

Titel: Kontaktversuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
Vom Netzwerk:
kam zu ihm. »Jedesmal dieselben Fehler! Als wären die Menschen in ihren Fehlern am meisten sie selbst.«
Er wußte, was in dem Heft war und wo die falsche Lösung herkam, begriff aber nicht, weshalb Elena die Berührung seiner Hand mied, nachdem er sie schon in den Armen gehalten und geküßt hatte.
»Wie soll ich ihm ein Ungenügend geben? Er rechnet so fest damit, nicht in die mündliche Abiturprüfung zu kommen.«
Und dachte dabei, daß alles sinnlos wäre, wenn sie den ganzen Nachmittag an ihrem Tischchen säße.
»Du bist sehr nachsichtig mit deinen Schülern.«
»Du verstehst gar nichts!«
Er verstand das, was sie nur fühlte – dieser Junge würde sich später entwickeln, wenn die Aufregung sein Denken nicht mehr lähmte.
Danach zeigte sie ihm ein zweites Heft, doch dieses Mal zog sie ihre Hand nicht vor seiner zurück und ließ sie auf seiner Handfläche liegen. Und wie damals im Kino fiel ihr Haar herab und berührte seine Stirn. Ihre Augen schauten ihn reglos an, und Andrej sah sich in ihren geweiteten Pupillen. Dann schloß sie die Augen, ihr Gesicht wurde traurig und entfernte sich gleichsam von ihm.
Kann ich denn wirklich so schwach sein? Oder ist nicht alles bloß Konvention? – Ihre Gedanken waren farblos und unsicher. Gleichzeitig entstanden in ihrem Bewußtsein unaufhaltsam andere Bilder. Sie hypnotisierten sie gleichsam, und sie überließ sich ihnen völlig. Andrej fiel es schwer, sie zu entziffern. Das einzige, was er darin deutlich erkannte, war ihr und sein Bild. Sie saßen im Nebenzimmer auf der Couch, und er war von Absichten erfüllt, die er nicht begreifen konnte, während sie, alles andere um sich vergessend, auf etwas wartete. Ihre Augen waren wieder geschlossen, und die beiden kleinen Furchen am Mund erinnerten ihn an den Tag, wo er sie geküßt hatte.
Dann wandten sich Elenas Gedanken ein Stückchen zurück, und sie ging durch die Straße, wo sie ihn zum erstenmal gesehen hatte. Auch ins Kino kehrte sie zurück und durchlebte erneut die Augenblicke, wo er ihren kühlen Arm berührt hatte. Im Restaurant hielt sie sich nicht auf, sie ging beinahe sofort weiter in den Park, schlenderte dort lange herum, um unversehens auf der Straße herauszukommen, wo er sie geküßt hatte.
Sie kehrte selbstsicherer aus den Erinnerungen zurück. Die Bilder in ihrem Bewußtsein wurden deutlicher und genauer, er verstand sie immer noch nicht, merkte aber, daß sie zu ihm hin führten.
Elena machte die Augen auf, und jetzt lächelte sie. Sie legte ihre brennende Wange an seine und flüsterte: »Hältst du deine Versprechen immer?«
»Immer!« antwortete er und sah, daß Elena enttäuscht war, obwohl sie es vor sich selbst verbarg.
Sie richtete sich auf und ging lustlos zu dem Tischchen mit den Heften hinüber. Während sie sich entfernte und er ihre Schultern betrachtete – immer noch so rührend zart und mager – erkannte er plötzlich: Elena entfernte sich nicht bloß von ihm, sondern auch von etwas anderem, das fast genauso wichtig war wie ihr Lebensgefühl. Er hatte heute ein paarmal in ihr ein Bangen wahrgenommen, ähnlich dem, als sie erwartete, daß er sie küßte, aber in diesem Augenblick war das damals nichts im Vergleich mit dem abklingenden Gefühl, mit dem Elena Schritt für Schritt auf das Tischchen zuging.
Dann setzte sie sich und drehte sich zu ihm um, doch ihr Gesicht war nur eine lächelnde Maske. Hinter der Maske erschienen weiterhin die vorherigen Bilder, und Elena lauschte müde in sich hinein.
Später erklärte sie mit scheuer Hoffnung, daß ihr der Kopf weh täte und sie lieber hinausgehen würde. Das war jedoch nicht wahr, sie bezweckte mit diesen Worten etwas anderes, und er schaute vergebens in ihr Bewußtsein; es war ihm unverständlich, daß seine mächtige Zivilisation nicht imstande war, ihm dazu zu verhelfen, in die Seele dieser Frau einzudringen. Elenas Augen waren leicht gerötet, sicherlich nicht von der Anstrengung über den Heften, doch was die Röte ihrer Augen bedeutete, was sich hinter dem plötzlich veränderten, in die Länge gezogenen und enttäuschten Gesicht verbarg, wußte er nicht. Seine Ohnmacht erfüllte ihn mit Verzweiflung, einer anderen Verzweiflung als die Elenas, denn er erwartete nichts. In seinem kristallinischen Körper war alles programmiert und trat mit einer Zwangsläufigkeit ein, die an Öde grenzte. Bisweilen hatte er geglaubt, wenn er eine ungewohnte Gestalt annahm, würde er auch fähig sein zu fühlen. Das war nicht einmal Selbsttäuschung

Weitere Kostenlose Bücher