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Kontrollverlust - Kontrollverlust

Kontrollverlust - Kontrollverlust

Titel: Kontrollverlust - Kontrollverlust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gude
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Wildlederimitat repariert. Sah aus wie neu.
    »Aber was ist mit unserer Arbeit hier? Zum Beispiel die Sache mit dem toten Schlosser aus dem Odenwald …«
    »Ach, Sie wissen doch, Herr Rünz: Arbeit dehnt sich entsprechend der zur Verfügung stehenden Zeit. Wenn Sie weniger Zeit für solche Brot-und-Butter-Fälle haben, dann lösen Sie sie eben schneller. Das wird sich alles regeln. Und davon mal abgesehen …« Hoven setzte sich wieder, faltete die Hände auf dem Schreibtisch zusammen wie ein Beichtvater und legte den Kopf etwas schief. »Vielleicht haben Sie es noch nicht mitbekommen. Alle Präsidien müssen in den nächsten Jahren mit gedeckelten Budgets klarkommen. Es wird höchste Eisenbahn, unsere Prozesse zu optimieren und effektives Cost Controlling einzuführen. Und wenn wir was zu verkaufen haben – warum nicht? Jetzt schauen Sie nicht so skeptisch drein, Rünz. Ich weiß, Sie sind nicht gerade ein Vorreiter, was Marketing & Sales angeht, aber dafür haben Sie ja mich. Sie steuern die Skills bei, und ich positioniere Sie am Markt. Wenn Sie mir versprechen, mal wieder zum Friseur zu gehen.«
    Das sagt gerade der Richtige, dachte Rünz.

11

    Eine so exotische Kombination von Menschen und Gütern hatte die State of Nebraska noch nicht über den Atlantik gebracht. Die Frachtlisten des Dampfschiffes führten am Morgen des 31. März 1881 im Hafen von New York unter anderem folgende Positionen auf: 97 Indianer, 180 Pferde, 18 Bisons, 10 Rothirsche, 5 texanische Ochsen, 4 Esel, 2 Elche. Dazu Schusswaffen aller Art, Wildlederjacken mit langen Fransen, bunte Halstücher und breitkrempige Cowboyhüte. Und eine in Holzfertigbauweise konstruierte, komplette Arena, demontiert, in durchnummerierten Einzelteilen. Als das Schiff vom Pier ablegte, spielte eine Band auf dem Deck, sechsunddreißig Männer in roten Hemden und breiten Chaps über den derben Baumwollhosen, den Song ›The girl I left behind me‹.

     
    All the dames of France are fond and free

    and Flemish lips are really willing.

    Very soft the maids of Italy

    and Spanish eyes are so thrilling …

     
    Zwei Wochen später legte die State of Nebraska am Kai des Albert Dock in Gravesend an der Mündung der Themse an, und die Band stand wieder auf dem Deck, diesmal, um das Vereinigte Königreich mit dem Yankee Doodle zu begrüßen. Die Truppe verlud die Ladung in die Waggons dreier Güterzüge, ohne Chaos und Durcheinander, schnell und effizient, nach einer detailliert durchgeplanten Logistik. Jeder Mann hatte seine Aufgabe, jedes Pferd und jedes Seil seinen festgelegten Platz in einem der Waggons, den es zu einem vorher bestimmten Zeitpunkt erreichte.
    Die Züge transportierten Menschen und Material zur Midland Station, nahe des Ausstellungsgeländes, auf dem die Festlichkeiten zu Ehren des fünfzigjährigen Thronjubiläums der Queen Victoria stattfinden würden.
    Die Show, die die Männer und Frauen unter der Leitung von William F. Cody in den folgenden Wochen vorbereiteten, war schon vor ihrer Premiere ein durchschlagender Erfolg. Kaum ein Vertreter der britischen Aristokratie, der nicht schon vor der offiziellen Eröffnung der Feierlichkeiten einen Blick hinter die Kulissen zu werfen versuchte. Herzöge, Schauspieler, Parlamentsmitglieder – alle kamen, alle schwärmten. Noch lange nach der Vorstellung erzählte Premierminister William Gladstone ergriffen davon, wie er beim Besuch des Camps einem waschechten Sioux-Häuptling die Hand gedrückt hatte. Zwei Jahre später, auf der Weltausstellung in Paris, versuchten Hunderte frischvermählter Paare, es ihm gleichzutun, in der Hoffnung auf magische Förderung ihrer Fruchtbarkeit.
    Zwei Tage nach Gladstones prägendem Händedruck besuchte Albert Edward, Prince of Wales und britischer Thronfolger, mit seiner Frau und seinen Töchtern die Generalprobe von Codys Wild-West-Show. Wenig später gab Queen Victoria auf Empfehlung ihres Sohnes der Show bei einer Vorstellung in der Earl’s Court Arena die Ehre ihrer Anwesenheit. Ein schlagzeilenträchtiges Ereignis – seit dem Tod ihres Mannes ein Vierteljahrhundert zuvor hatte die Queen keine öffentliche Veranstaltung mehr besucht. Ihre Majestät war begeistert, und spätestens beim atemberaubenden Showdown, als General Custers Soldaten die Schlacht am Little Bighorn gegen die Wilden und die historische Wahrheit ein weiteres Mal gewannen, hielt es weder Ihre Majestät noch die anderen königlichen Familienmitglieder auf den Stühlen. Und nicht nur die

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