Kopernikus 6
Kanzel, streng und schlicht. Nur die Bänke und das große Kreuz befanden sich noch in der Lagerkuppel und warteten darauf, bald ausgepackt und installiert zu werden.
Maria blickte auf den Priester und den Prediger herab, mit warmem, seltsamen Kartenhailächeln.
„Das hier gehört ihm nicht. Es ist von der Kirche bezahlt worden. Von Ihrer Kirche und meiner Kirche und einer Reihe anderer Kirchen. Was ist mit den anderen Geistlichen, die uns nachkommen sollten, wenn dies hier alles fertig ist? Was gibt ihm das Recht dazu?“
Der Reverend Arthur Chamblen zuckte mit den Augen und machte eine Geste, die Offensichtlichkeit andeuten sollte. „Klausel 70. Das ist alles, was er braucht.“
Thomas Bensmiller verspannte sich innerlich und blickte über Marias ausgebreitete Arme hinweg in die Unendlichkeit. Er saß in einem Gebiet fest, das eine drittel Million Kilometer tief war und so hoch wie der unendliche Himmel. In seiner Hand hielt er die Direktive.
A N : M ONDMISSION Ö KUMENISCHER R AT , R EVS . C HAMBLEN & B ENSMILLER
V ON : B ÜRO DER K OMMANDANTUR
V ERORDNUNG : A B NEUNZEHNTEN M AI 2029 TRITT K LAUSEL 70 IN K RAFT . G EWÄCHSHAUS V IER WIRD A UF UNBEGRENZTE Z EIT IN P ARZELLE E W 9 D NEUERRICHTET . S ÄMTLICHE NICHT ZUM GEBÄUDE GEHÖRIGEN G EGENSTÄNDE SIND SOFORT ZU BESEITIGEN .
„Nicht einmal mein eigenes ‚Rev’ hat er mir zugestanden. Nicht zu fassen!“
Chamblen nahm die Direktive wieder entgegen, faltete sie säuberlich zusammen und verstaute sie in aller Ruhe in einer Jackentasche. Bensmiller mochte ihm nicht in die Augen sehen. Wie immer waren sie zu blau, zu gefaßt, zu sehr im Einklang mit dem Unvermeidlichen.
Bensmiller wollte kämpfen. „Das war keine kleine Katastrophe. Es sind Menschen dabei umgekommen. Warum nimmt er sich nicht dieser Station so an, wie es das Beste wäre? Warum läßt er nicht eine neue Kuppel hierher transportieren?“
Chamblen grinste. „Das würde die Steuerzahler fünfzig Millionen Dollar kosten. Es müßte erst durch die Legislative abgesegnet werden. Das braucht Zeit, Monate.“
Bensmiller wand sich aus Chamblens immer-logischem Hammergriff und schritt mit gesenktem Blick zur Kanzel. Auf halber Strecke blickte er sich um. „Dann warten wir eben. Müssen wir deswegen etwa sterben? Die beiden anderen haben sie doch repariert. Bedeutet eine zerstörte Kuppel gleich den Untergang? Ich hätte gedacht, daß sie dieses Projekt ein wenig besser durchdacht hätten.“
Chamblen nickte. „Das haben sie auch. Sterben werden wir nicht.“
„Warum kann ich dann nicht meine Kirche behalten?“ Bensmiller versuchte, so fest und entschieden zu klingen, wie es Chamblen, Kreski und all die anderen immer taten. Aber ein Gespenst in den Augen des hochgewachsenen Predigers kehrte immer wieder zurück, um ihm den Boden unter den Füßen fortzureißen, seine schwächlichen Einwände zunichte zu machen. Chamblen hatte immer eine Antwort. Kreski hatte immer eine Antwort. Jeder hatte immer eine Antwort. Alle außer Thomas Bensmiller, der nur ein Priester war.
Chamblen lehnte sich an das Gerüst zurück und legte einen Finger an die Wange, als wollte er einen Juckreiz abfangen, sofern ein solcher auftreten sollte. „Ich bin sicher, daß Sie mehr oder weniger wissen, was in diesen Kuppeln vorgeht. Sie bauen dort eine gewisse Pflanze an, in intensiver Lichtbestrahlung auf einem Nährboden. Diese Pflanze ist sozusagen maßgeschneidert, ich würde sie als hyperthyroid bezeichnen. Sie wächst wie wild, saugt Nährstoffe auf wie wild und photosynthetisiert wie wild. Ihre CO 2 /O 2 -Umwandlungsrate ist unglaublich. Außerdem schmeckt sie einigermaßen gut.“ Chamblen
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