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Kopernikus 9

Kopernikus 9

Titel: Kopernikus 9 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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Moment etwas zustieß oder er gar den Spaß an der Sache verlor und stiften ging – schon im Interesse der eigenen Karriere.
    Damit auch alles schön authentisch aussah und sich der dicke Mann beizeiten an sein neues Vaterland gewöhnen konnte, hatten sie einen Bühnenbildner aus Hollywood kommen lassen. Er richtete Johnsons Räume „deutsch“ ein, mit gräßlichen Bauernmöbeln, bemalten Bierkrügen in einer Glasvitrine und einer gigantischen Schwarzwälder Kuckucksuhr. Später erfuhr ich, daß all dieser Krempel aus dem Fundus einer Schnulze namens „The Student Prince“ stammte, aber man mußte zumindest zugeben, daß sie sich viel Mühe gemacht hatten, auch wenn man unwillkürlich erwartete, daß Johnson den ganzen Tag in einer Lederhose am offenen Fenster saß und jodelte.
    Aber dazu hatte er ohnehin keine Zeit. Wir besorgten uns zwei emigrierte Soziologieprofessoren aus Frankfurt (man konnte sie damals im Dutzend billiger haben), die dem dicken Mann im Schnellverfahren Deutsch mit hessischem Akzent beibrachten; wir beschafften ihm einen lückenlosen Satz deutscher Papiere, an denen auch der mißtrauischste Gestapo-Mann nicht herummäkeln konnte; einer der besten Drehbuchautoren von Hollywood dachte sich eine Lebensgeschichte aus, die weit überzeugender war als Johnsons wirkliche Biographie, und wir trichterten sie ihm ein, bis der dicke Mann vermutlich selbst glaubte, der Magenbitterfabrikant und Major der Reserve Robert Jonas aus Büdingen in Oberhessen zu sein. Obendrein brachten sie ihm auch noch Funken und Dechiffrieren und Judo und Schießen und Messerwerfen bei, den ganzen Agentenkram; ein Kunstschütze würde der dicke Mann wohl nie werden, aber was das Wurfmesser betraf, so bewies er nach ein paar Stunden verblüffenderweise ein zirkusreifes Talent.
    Für ein paar Tage – und eine astronomische Gage – heuerten sie sogar einen ehemaligen UFA-Regisseur an, der jetzt in Hollywood Gangsterfilme drehte, einen großen, arroganten Burschen mit einem Monokel, der Johnson militärische Zackigkeit und den rechten schnarrenden Naziton beibringen sollte. Der UFA-Mann gab sich sichtlich Mühe für sein Geld; ich glaube, er hieß Lung oder Lang.
    Natürlich fragte sich jeder Beteiligte an diesem organisierten Wahnsinn insgeheim, ob die ganze Sache nicht am Ende so unsinnig war, wie sie den meisten ohnehin erschien. Doch gewöhnlich wurden wir schnell genug daran erinnert, worum es ging.
    Es fing relativ harmlos an, mit einer Serie von Rohrbrüchen, Kurzschlüssen und Autopannen auf der Ranch, doch im Spätsommer begannen die Zwischenfälle zunehmend häßlicher zu werden. Einer der Ausbilder auf der Ranch wurde von einer Klapperschlange gebissen und mußte nach Reno ins Hospital geflogen werden; die beiden deutschen Professoren verliefen sich bei ihrem Abendspaziergang in der Wüste und wurden gerade noch rechtzeitig gefunden; Donovan lag vier Wochen lang mit einem Schädelbruch im Krankenhaus, weil ihn ein schwachsinniger Melker in Kansas mit dem leibhaftigen Antichrist verwechselt hatte; ich selbst schnitt mich bis auf die Knochen, als ich nachts um drei eine Büchse Ölsardinen öffnen wollte. Daß ich die Blutvergiftung, die daraus folgte, ohne dauernden Schaden überlebte, widersprach „allen Regeln des gesunden Menschenverstands und der medizinischen Wissenschaft“, wie mir ein unfreundlicher Militärarzt in nahezu beleidigtem Ton mitteilte.
    Kurzum: Praktisch jedem, der mit dem Projekt zu tun hatte, stieß irgend etwas Unangenehmes zu, für das man niemanden verantwortlich machen konnte – das bekannte Muster. (Kurz nach Johnsons Abreise brannte übrigens die Ranch bis auf die Grundmauern nieder, aber da hatten wir schon ganz andere Sorgen.)
    Der einzige, dem das alles nichts auszumachen schien, war der dicke Mann selbst. Er saß zwischen seinen absurden Bauernmöbeln, übte vierzehn Stunden am Tag deutsche Vokabeln, Stechschritt und Zielschießen und schien sich im übrigen zu fühlen wie Gott in Frankreich. Natürlich hatten wir ihn nicht aufgeklärt, worum es bei alledem eigentlich ging. Er wußte lediglich, daß wir ihn Anfang nächsten Jahres zu einem nicht näher bezeichneten „Sondereinsatz“ nach Deutschland schicken würden.
    Es muß Anfang November gewesen sein, als ich einen halben Tag Aufenthalt in Reno hatte. Ich kam gerade aus San Francisco, wo ich einen Mann interviewt hatte, dem angeblich am hellichten Tag mitten auf der Market Street der Alchimist Nicolas Flamel begegnet war.

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