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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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der eine Mülltüte aus Plastik als Regenumhang benutzte, begrüßte mich mit triefenden Augen, während er die Füße beiseite nahm, damit ich in die Hotelhalle treten konnte. Ich senkte meinen Schirm und bemühte mich, keinen der zu ihrem morgendlichen Umtrunk Versammelten damit zu stechen. Ich fand es noch früh für harte Getränke, aber vielleicht war das, was in der braunen Papiertüte herumgereicht wurde, ja auch Fruchtsaft.
    Das Hotel hatte früher sicher einmal als elegant gegolten. Der Fußboden bestand aus grünem Marmor und war mit einem krummen Weg aus Zeitungspapier bedeckt, das vom einen bis zum anderen Ende reichte und all die nassen Schritte auffangen sollte, die sich kreuz und quer durch die Lobby zogen. An den Stellen, wo das durchweichte Papier bereits weggenommen worden war, konnte ich erkennen, daß die Druckerschwärze spiegelverkehrte Abdrücke der Schlagzeilen hinterlassen hatte. Sechs verzierte Stützpfeiler unterteilten den düsteren Raum in mehrere Abschnitte. In jedem einzelnen davon prangte eine klobige grüne Plastikcouch. Allem Anschein nach wollte man die Gästeschaft davon abhalten, es sich länger auf dem vorhandenen Mobiliar gemütlich zu machen, da ein handgeschriebenes Schild folgende Ermahnungen verkündete:

    Rauchen verboten
    Ausspucken verboten
    Herumlungern verboten
    Prostitution verboten
    Trinken im Haus verboten
    Schlägereien verboten
    Pinkeln in die Blumentöpfe verboten

    Dem konnte ich mich uneingeschränkt anschließen. Ich näherte mich dem langen Empfangstisch, der sich unter einem mit weißen Gipsvoluten und Pflanzenornamenten verzierten Bogen erstreckte. Der Mann hinter dem marmornen Tresen stützte sich auf den Ellbogen nach vorn und war offenkundig an meinen Absichten interessiert. Das hier erschien mir zwar wie ein weiterer vergeblicher Versuch, aber es war offen gestanden das einzige, was mir momentan einfiel.
    »Ich hätte gern den Geschäftsführer gesprochen. Ist er da?«
    »Das bin wohl ich. Mein Name ist Dave Estes. Und Sie heißen?«
    »Kinsey Millhone.« Ich holte eine Visitenkarte heraus und reichte sie ihm hinüber.
    Er las sie, indem er jedem Wort die gleiche ernsthafte Aufmerksamkeit widmete. Er war Mitte Dreißig, ein fröhlich aussehender Typ mit offenem Gesichtsausdruck, Brille, schiefem Lächeln, leichtem Überbiß und einem Haaransatz, der sich so weit zurückgezogen hatte, daß eine lange, abschüssige Stirn zum Vorschein kam, die aussah wie ein leerer Küstenabschnitt bei Ebbe. Was er noch an Haar hatte, war mittelbraun und kurz geschnitten. Er trug einen braunen Overall mit vielen Reißverschlußtaschen wie ein Automechaniker. Die Ärmel waren aufgerollt und brachten muskulöse Unterarme zum Vorschein.
    »Womit kann ich Ihnen helfen?«
    Ich legte das Foto von Tom Newquist vor ihm auf den Tresen. »Ich wüßte gern, ob Sie diesen Mann schon einmal gesehen haben. Er ist Fahnder im Sheriffbüro von Nota Lake. Er heißt Tom...«
    »Moment, Moment, Moment«, fiel er mir ins Wort. Er hielt eine Hand in die Höhe, um mich zum Schweigen zu bringen, und machte dann ein Gesicht, als müsse er gleich niesen. Er schloß die Augen, zog die Nase kraus und öffnete keuchend den Mund. Seine Miene hellte sich wieder auf, und er zeigte auf mich. »Newquist. Tom Newquist.«
    Ich war verblüfft. »Das stimmt. Kennen Sie ihn?«
    »Ach nein, kennen tu’ ich ihn nicht, aber er war hier.«
    »Wann war das?«
    »Also, ich würde sagen, im Juni letzten Jahres. Vermutlich in der ersten Woche. Ich würde sagen, am fünften, wenn ich raten muß.«
    Die Bestätigung traf mich derart unvorbereitet, daß mir nicht einfiel, was ich als nächstes fragen sollte.
    Estes sah mich an. »Ist ihm etwas zugestoßen?«
    »Er ist vor ein paar Wochen an einem Herzinfarkt gestorben.«
    »He, so ein Jammer. Tut mir leid, das zu hören. So alt kam er mir gar nicht vor.«
    »War er auch nicht, aber ich glaube, er hat nicht besonders gut auf sich aufgepaßt. Können Sie mir sagen, was ihn hierhergeführt hat?«
    »Na klar. Er hat nach einem Kerl gesucht, der gerade aus dem Gefängnis entlassen worden war. Irgendwie kommen eine Menge Typen in dieser Situation hierher. Fragen Sie mich nicht, warum. Wo wir doch ein so nobles Haus sind. Anscheinend hat sich herumgesprochen, daß wir günstige Preise und saubere Zimmer haben und wenig Sperenzchen dulden.«
    »Erinnern Sie sich noch an den Namen des Mannes, den er gesucht hat?«
    »Der ist aus anderen Gründen leicht zu merken, aber ich stelle

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