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Kopfjagd

Kopfjagd

Titel: Kopfjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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einen Priester spielt, kennengelernt. Nach der Schießerei bei Tacho hatte ich ihn dann als einen völlig anderen Mann erlebt. Und jetzt war dieser ruhige, lebenskluge, mitfühlende Mann noch ein dritter Mensch in der gleichen Person. Selbst seine Sprechweise hatte sich verändert.
      »Wie viele Personen stecken eigentlich noch in dir, um Himmels willen?« fragte ich.
      »Ach, es macht mir nur Spaß, die Leute zu verwirren. Aber das ist keine Antwort auf meine Frage.«
      »Na gut«, sagte ich. »Aber viel zu reden gibt es da eigentlich nicht. Mein Bruder war sechs Jahre älter als ich. Er ging 1914 zu den Dubliner Füsilieren und zog für die Engländer in deren Krieg. Eine Gewohnheit, von der Iren nur schwer loskommen. Draußen im Feld wurde er Offizier, und als Invalide Anfang 1918 im Rang eines Captain entlassen.«
    »Habt ihr politisch die gleiche Einstellung gehabt?«
      »Würde ich sagen, ja. Trotz seines kaputten rechten Beines übernahm er ein Kommando bei den Fliegern. Erst über den Vertrag mit England entzweiten wir uns. Er war wie Collins einer von denen, die der Ansicht waren, wir hätten genug gelitten. Und daß der Spatz in der Hand besser sei als die Taube auf dem Dach.«
    »Und du warst ein eingefleischter Republikaner?«
      Ich konnte in der Dunkelheit sein Gesicht nicht erkennen, und das war vielleicht ganz gut so. Ich sagte: »Ich hatte keine Ahnung, daß er in diesem Wagen saß, an dem Tag in Drumdoon. Wir hatten den Divisionskommandeur erwartet.«
    »Im Krieg passieren solche Sachen nun mal.«
    »Ich habe ihn umgebracht«, sagte ich. »Ich habe sie alle vier sauber und flott aus einem Fenster im oberen Stock der Cohan's Select Bar mit einer Thompson niedergemäht. Es regnete zu der Zeit heftig, und es war keine Menschenseele auf der Straße. Sie wußten schon, warum. Der Zweck des Terrorismus ist das Terrorisieren, pflegte Mick Collins immer zu sagen, und ich hatte ihm geglaubt. Am Ende war es dann zu spät, sich noch zu ändern. Selbst nach Drumdoon. Was konnte ich schon tun, als mich aus dem Staub zu machen?«
    »Es ist niemals zu spät für irgend etwas im Leben.«
    »Vorsicht, du spielst schon wieder den Priester.«
      Und da veränderte er sich wieder, von einer Sekunde zur anderen. »Verdammt noch mal, du hast ja recht, Keogh, daß das alles nichts mehr nützt. Man muß eben zu dem stehen, was war, selbst am Ende. Andernfalls war das ganze Leben nichts wert.«
    »Das paßt auf mich«, sagte ich. »Perfekte Beschreibung.«
      »Ach, ich weiß nicht. Und was ist mit der kleinen Indianerin? Du hast ihr doch ihren kleinen Arsch gerettet, dort bei Tacho, oder nicht? Das wird doch auch etwas zählen.«
      Darin lag wirklich eine Art Trost. Ich dachte einen Moment an sie. An die dunklen, ruhigen Augen, die Olivenhaut, die Wärme ihres Körpers, als sie mich im Arm gewiegt hatte, neulich in der Nacht in dem wolkenbruchartigen Regen.
      »Nun«, sagte ich, »sie verdankt dir mindestens ebensoviel wie mir. Wenn du nicht gerade noch rechtzeitig in das böse Spielchen eingegriffen hättest…«
      »Mach nicht den Fehler, Keogh, mir Motive zu unterschieben, die gar nicht existierten.« Seine Stimme war wieder rauh, wieder ganz die des alten Zynikers. »Ich hatte überhaupt nichts im Sinn, als ich an diesem Abend in Tachos Kneipe kam. Das ganze Zusammentreffen war nichts als der reine, bloße Zufall. Und in meinem Amoklauf war nicht die Spur von Überlegung oder Methode. Und jetzt habe ich genug gequatscht. Ich gehe schlafen.«
      Er erleichterte sich in den Eimer in der Ecke und legte sich dann auf seine Strohmatratze. Als er sich zurechtlegte, klirrten seine Fußeisen.
    Ich blieb am Fenster stehen, umklammerte die Gitterstäbe und starrte hinauf in den kalten Nachthimmel, zu den Sternen, die älter waren als die Zeit selbst und die auch morgen noch da sein würden, wenn der kleine Emmet Keogh schon längst nicht mehr da war. Gott steh mir bei, aber auf das zurückzublicken, was alles gewesen war, auf diesen Lumpenfetzen meines Lebens war doch nur eine jämmerliche Zeitverschwendung.

    Der Wachsergeant brachte uns um sieben Kaffee, aber nichts zu essen, wogegen unter den gegebenen Umständen nicht viel einzuwenden war.
      Danach ließ man uns für gut zwei Stunden in Ruhe. Van Horne hatte nichts mehr zu sagen. In dem kalten Morgenlicht sah er älter aus, als er war. Sein Bart war struppig, sein Gesicht schmutzig. Ich kann nicht sehr viel besser ausgesehen haben, und ich

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