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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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übernachten wird, und es beruhigt mich tatsächlich. Verflucht, Mutter wird nicht versuchen, einen zwanzig Jahre jüngeren Mann zu verführen, solange wir einen Gast haben. Denke ich, und im selben Moment beginnt es zu donnern.
    Ich mag Gewitter gern, Jacob allerdings nicht, er kommt sofort ins Wohnzimmer gelaufen.
    »Anders sagt, ich soll reingehen, weil es gleich anfängt zu blitzen.« Er sieht verängstigt aus und drängt sich an Mutter.
    »Kommt er nicht herein?«, erkundigt sie sich.
    Jacob weiß es nicht, es sieht allerdings nicht so aus. Als Mutter ihn von der Terrassentür aus ruft, arbeitet Anders ruhig weiter und reagiert nicht.
    Der Donner wird heftiger und jetzt blitzt es auch, Jacob wird immer unruhiger und schaut an die Decke. Mutter schlägt vor, ein Spiel zu spielen, damit er auf andere Gedanken kommt. Ich hasse Mensch-ärgere-dich-nicht, aber Jacob liebt es, und wie gewöhnlich darf er entscheiden. Wenn man einen hypersensiblen kleinen Bruder hat und selbst kerngesund ist, steht man in der zweiten Reihe. Daran muss man sich gewöhnen. Mutter setzt sich so an den Wohnzimmertisch, dass sie Anders während des Spiels durchs Fenster beobachten kann. Jacob müssen wir immer wieder versichern, dassnichts passieren kann. Selbstverständlich haben wir schon öfter ein Gewitter erlebt, allerdings nicht auf dem Land. Man hat das Gefühl, näher dran zu sein, man fühlt sich ausgesetzter als in der Stadt, aber ich mag das gern. Ich habe dann das Gefühl, dass endlich etwas passiert. Allein die Vorstellung, ein Blitz würde einschlagen und das Haus in Brand setzen. Wenn wir es alle rechtzeitig ins Freie schaffen, darf es von mir aus ruhig bis auf die Grundmauern abbrennen.
    Wenn ich mich umdrehe, kann ich Anders auch sehen. Er steht ganz oben auf der Leiter und schneidet die Büsche, ohne sich irgendwo festzuhalten, während ihm die Blitze um die Ohren zucken. Ihn scheint das überhaupt nicht zu beeindrucken. Es ist ziemlich cool und sieht gut aus, wenn sein Körper bläulich schimmernd erleuchtet wird. Als sei alles um ihn herum in Aufruhr. Doch er arbeitet ruhig weiter, und jetzt fängt es auch noch an zu regnen. Sein Hemd wird nass und klebt an seinem Körper. Mutter bemerkt es auch, sie tritt nah an die Fensterscheibe und schaut mit halb geöffnetem Mund hinaus. Sein breiter Rücken und die muskulösen Oberarme zeichnen sich deutlich unter dem nassen Hemd ab. Mutter öffnet die Terrassentür, diesmal geht sie unter das Halbdach, als sie ihn ruft. Er winkt und schüttelt den Kopf.
    »Sag mal, versucht er, mich zu beeindrucken?«, fragt sie, als sie wieder hereinkommt. Ich glaube nicht. Wenn er jemanden beeindrucken will, dann sicherlich nicht sie. Doch wohl eher mich. Ich bin deutlich näher an seiner Altersgruppe, aber ich könnte auch noch andere Gründe nennen.
    Wieder blitzt es und vor meinem inneren Auge sehe ich, wie der Blitz in die elektrische Heckenschere fährt und sie entflammen lässt. Anders schneidet weiter, vollkommen ungerührt, jetzt mit einer Art Schneidbrenner. Es sieht grandios aus, und er schneidet die abenteuerlichsten Figuren aus denBüschen, genau wie Edward mit den Scherenhänden.
    »Du musst würfeln«, fordert Jacob mich auf.
    Ich würfele eine Vier und ziehe mit meiner Figur. Mutter ist an der Reihe. In diesem Moment geht die Lampe über dem Tisch aus und in der Küche schaltet sich das Radio ab.
    »Was jetzt? Hat der Blitz eingeschlagen?«, fragt Jacob verängstigt.
    »Nein, der Strom ist bloß ausgefallen«, beruhigt ihn Mutter. »Die Sicherung ist rausgesprungen, weil die Heckenschere feucht geworden ist. Was denkt er sich eigentlich dabei?«
    Als wir in den Garten schauen, untersucht Anders tatsächlich die Heckenschere, die nicht mehr anspringt. Mutter holt einen Regenschirm und läuft in den Garten. Durchs Fenster sehe ich, wie sie mit Anders im strömenden Regen diskutiert. Er schüttelt den Kopf und bückt sich, um Äste und Zweige aufzusammeln. Sie nimmt ihn bei der Hand und will ihn mit sich ziehen, ich finde es peinlich. Aber es funktioniert: Schließlich legt er die Äste beiseite, nimmt die Heckenschere unter den Arm, und Hand in Hand laufen sie über den Rasen. Es sieht total daneben aus. Sie könnte seine Mutter sein.
    Als sie hereinkommen, laufen sie tropfend und lachend ins Bad. Wieso geht Mutter mit ins Badezimmer? So nass kann sie in der kurzen Zeit doch gar nicht geworden sein. Die Heckenschere liegt auf dem Terrassentisch. Jacob wartet am Spielbrett. Ich weiß

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