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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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sondern auf den Rasen. Dann rutscht er den Stamm hinunter bis zu der Stelle, an der er sich teilt, und springt das letzte Stück. Es ist ein Sprung aus mehreren Metern Höhe; der schwarze Bademantel breitet sich aus und sieht aus, als hätte er ein paar Flügel.
    Er landet auf allen vieren auf dem Rasen, zieht den Bademantel aus und schlägt damit auf die Flammen ein. Mutter macht ihre Augen wieder auf und wir sehen fassungslos zu, wie er vollkommen nackt um den brennenden Ast hüpft. Sein Körper ist ungewöhnlich behaart und er hat kurze, krumme Beine, aber seine Bewegungen sind sehr gewandt und flink. Keiner von uns sagt etwas, ich nehme den Anblick in mich auf und verberge ihn an einem geheimen Ort.
    Als das Feuer erstickt ist, zieht er den Bademantel wieder an. Der Mantel qualmt, aber Anders ist das egal ‒ es sieht aus, als stünde er in Flammen. Über das ganze Gesicht grinsend kommt er auf uns zu und entschuldigt sich für den Bademantel, der wahrscheinlich nicht mehr zu gebrauchen ist. Mutter verzeiht ihm natürlich, sie dankt ihm sogar, denn er hat das Haus gerettet und sich selbst einer großen Gefahr ausgesetzt. Ist ihm etwas passiert? Hat er sich wehgetan oder verbrannt? Überhaupt nicht, versichert Anders und erinnert uns, dass wir Mensch-ärgere-dich-nicht gespielt haben. Wie weit waren wir? Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass sich irgendjemand von uns daran erinnern kann. Wir sind noch immer schockiert über den Anblick, den er uns geboten hat.
    Ruhig setzt er sich an seinen Platz am Wohnzimmertisch und meint, er sei an der Reihe gewesen. Bevor der Blitz in die Buche schlug, hatte er drei Sechsen in Folge gewürfelt und darf daher noch einmal. Mutter, Jacob und ich setzen uns ebenfalls. Als er den Würfelbecher über dem Kopf schüttelt, halte ich den Atem an. Es ist regelrecht erleichternd, dass es nur eine Zwei ist, und dieses Mal blitzt es auch nicht. Während wir spielen, zieht das Gewitter ab, doch im Wohnzimmer riecht es nach Kohle. Und noch immer scheint Rauch an seinem Rücken aufzusteigen.

5
    Henriette kommt gegen halb acht und geht sofort in den Garten, um den ›Tatort‹ zu besichtigen, wie sie es nennt. Den Baum, in den der Blitz eingeschlagen hat. Mutter und ich begleiten sie, und obwohl Mutter Henriette die Geschichte bereits am Telefon erzählt hat, will sie alles noch einmal hören. Diesmal von mir. Aus welcher Höhe ist der junge Held gesprungen? Ich zeige es. Henriette bekommt große Augen. Und er hatte die Säge zwischen den Zähnen, als er sprang? Ich muss lachen, denn die Säge hatte er natürlich schon vorher heruntergeworfen. Wie war das mit dem Bademantel, hat er ihn tatsächlich ausgezogen und damit das Feuer gelöscht? Mutter holt den Mantel, damit Henriette die Rußflecken sehen kann. Ich bestätige, dass er darunter vollkommen nackt gewesen ist.
    »Man konnte alles sehen, es war alles da, so wie es sich gehört. Und noch ein bisschen mehr«, fügt Mutter hinzu.
    »Mama, muss das sein?«
    Sie kann so unappetitlich sein, und Gäste sind ihr dabei vollkommen egal. Wenn ich danebenstehe und angewidert bin, findet sie es besonders komisch. Henriettes Blick hingegen geht ins Leere, sie bekommt rote Wangen, ihre schweren Brüste beben. Und dann will sie wissen, wo dieses ›Wunder‹ jetzt ist; ihrer Meinung nach ist es an der Zeit, ihm vorgestellt zu werden.
    Im Wohnzimmer sitzt Anders mit Jacob auf dem Sofa und sieht fern. Seine Sachen sind wieder trocken, er hat sich angezogen. Henriette gibt ihm die Hand und schenkt ihm ihrsüßestes Lächeln, sie erkundigt sich, ob er sich bei dem tiefen Sprung nicht wehgetan habe. Anders schüttelt nur den Kopf, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden. Er sieht sich mit Jacob einen Dokumentarfilm über den Zweiten Weltkrieg an. Bomben fallen, Häuser stehen in Brand, die Straßen füllen sich mit Leichen. Nicht unbedingt das Richtige für ein hypersensibles Kind, normalerweise würde Mutter abschalten. Aber da Jacob neben Anders sitzt, hat er keine Angst, und Mutter sagt nichts.
    Henriette setzt sich zu ihnen. Sie zieht ihren Rock hoch und schlägt die Beine übereinander. Dann verhält sie sich ganz still, offenbar will sie nicht stören. Ich beobachte sie aus der Küche, während ich Mutter bei den Vorbereitungen zum Abendessen helfe.
    Bei Tisch setzt Henriette sich unserem jungen Helden gegenüber und versucht, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Aber zunächst ist es zäh.
    »Wo wohnst du denn?«, erkundigt sie sich.
    »In einem

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