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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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uns bis zum frühen Morgen. Ich sehe uns nackt im hohen Gras liegen, während die Sonne aufgeht und der Nebel über die Wiesen steigt. Meine Stiefel stehen allein im Nebel, Tau sammelt sich auf ihnen. Aber ich denke, ich sollte mir mit derartigen Geschichten noch ein bisschen Zeit lassen, ich bin noch nicht richtig bereit dazu. Vermutlich ist es besser, wenn ich auch schlafen gehe.
    Im Bett lese ich eine SMS von Amalie. Sie hat in Portugal einen süßen Kerl kennengelernt, schreibt sie. Sie haben sich bereits am Strand geliebt. Was passiert bei dir? Nach reiflicher Überlegung schreibe ich, dass wir einen Gast haben. Er ist Anfang zwanzig, sieht ziemlich gut aus und macht mir Komplimente. Wenn ich mich nicht vollkommen irre, will er mich. Aber der Altersunterschied beträgt beinahe zehn Jahre, es hat eigentlich keinen Sinn. Ich lösche das Licht und drehe mich zur Seite. Bin gespannt, wie Amalie reagieren wird. Sie soll nicht denken, dass nur sie etwas erlebt.
    Ich schließe die Augen, aber es dauert nicht lange und ich werde von eigenartigen Geräuschen auf dem Flur gestört. Irgendjemand kratzt an Holz. Es klingt beinahe wie eine Katze, die herein will, aber wir haben keine Katze. Ich gehe auf den Flur, um nachzusehen, und bin einigermaßen schockiert über den Anblick, der sich mir bietet. Mutter ist es gelungen, ohne fremde Hilfe die Treppe hinunterzukommen, und nun liegt sie auf allen vieren vor dem Gästezimmer und kratzt mit ihren Fingernägeln an der Tür. Gleichzeitig flüstert sie irgendetwas Unverständliches.
    »Scheiße, Mama, was soll das?«
    Sie hört mich nicht. Ich schüttele sie, aber es hilft nichts. Jetzt bettelt sie, Anders möge die Tür öffnen. Und da er nicht antwortet, fängt sie an zu klopfen, erst vorsichtig, dann immer fester, bis ich ihr in den Arm falle. Sie wird Jacob noch aufwecken. Schließlich legt sie die Wange an die Tür und flüstert: »Du darfst nich’ sterben! Du darfst nich’ sterben!«
    »Er ist überhaupt nicht da drin«, sage ich, und weiß nicht, warum ich hinzufüge: »Er ist aus dem Fenster geklettert und in die Stadt gefahren.«
    »Bestimmt?«
    »Ich hab’s selbst gesehen.«
    »Du hast es gesehen? Heute Abend?«
    »Ja«, lüge ich, nur damit sie Ruhe gibt.
    »Wieso hast du das nich’ gleich gesagt? Und warum ist er aus dem Fenster geklettert, weshalb benutzt er nich’ die Tür?«
    Ich ziehe sie über den Fußboden und sperre die Hintertür auf, damit sie frische Luft bekommt. Sie klammert sich an meine Beine, jammert und seufzt. Es ist nicht mehr lustig, die Rolle der Großen zu spielen. Ich verstehe nicht, was in sie gefahren ist. Aber, verdammt, sie ist meine Mutter.
    »Wenn er nich’ in seinem Zimmer is’, wo is’ er dann?«
    »Vermutlich ist er in die Stadt gefahren. Du hast ihm heute Nachmittag doch gesagt, dass er verschwinden soll.«
    Sie sieht mich misstrauisch an und ihre Stimme wird wieder laut und schrill, ich muss ihr den Mund zuhalten. Wie würde Jacob reagieren, wenn er sie so sähe?
    »Was will er denn da? Kommt er nich’ zurück? Weißt du mehr über ihn als ich, Emilie? Wenn du etwas weißt, musst du es mir sagen!«
    »Ich weiß gar nichts«, erkläre ich. »Ich rate bloß.«
    Aber ihr Misstrauen lässt sich nicht so leicht zerstreuen, und plötzlich hat sie einen Einfall. Sie steht ohne Hilfe auf und stolpert über den Flur in mein Zimmer. Ich folge ihr. Was hat sie vor? Ich traue meinen Augen nicht, als sie hinter die Tür und unters Bett guckt, den Kleiderschrank öffnet und sogar die Bettdecke anhebt!
    »Wo hast du ihn versteckt?«
    Was stellt sie sich vor? Dass Anders mein heimlicher Liebhaber ist und ich ihn in meinem Zimmer versteckt halte? Sie empfindet mich tatsächlich als Rivalin. Das ist einerseits zwar ganz schmeichelhaft, andererseits aber auch einfach zu viel. Verständnislos schüttele ich den Kopf.
    »Verflucht, jetzt reiß dich aber zusammen, Mutter. Er ist nicht hier, sonst würde ich es dir doch sagen.«
    »Das hoffe ich wirklich.«
    Betreten trottet sie die Treppe hinauf; ich folge ihr, bereit, sie zu stützen, sollte sie rückwärts taumeln. Allerdings muss ich einen gewissen Abstand halten, denn sie tritt mit den Hacken nach mir, während sie sich mit beiden Händen am Geländer nach oben zieht. Als sie im Schlafzimmer verschwunden ist, gehe ich vor die Tür. Ich will selbst einen Blick ins Gästezimmer werfen.
    Das Zimmer ist dunkel, allerdings sind die Gardinen nicht mehr zugezogen und das Fenster ist einen Spalt weit

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