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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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dann lasst uns fahren.«
    Jacob ist noch in seinem Zimmer. Als ich ihn holen will, bleibe ich vor seiner Tür stehen, denn ich höre, wie er Selbstgespräche führt. Das ist ungewöhnlich. Ich schaue durchs Schlüsselloch, er sitzt auf dem Bett. Offenbar redet er nur vor sich hin.
    »Ja, das werde ich tun«, sagt er. »Ja, dann mache ich es so.« Und noch weitere Sätze dieser Art. Quält ihn möglicherweise sein schlechtes Gewissen und er schimpft mit sich selbst? In gewisser Weise ist es beruhigend, denn dann gibt es noch immer etwas von dem alten Jacob, den ich kenne. Aber wer weiß, was er sich da selbst verspricht? Jetzt sehe ich, dass er sich erschrickt, er sitzt mit aufgerissenen Augen da und schüttelt den Kopf. Ich verstehe nicht, was er da treibt, doch es gefällt mir nicht.
    »Nein, das will ich nicht«, höre ich ihn ziemlich laut hinter der Tür sagen. »Schließlich bin ich der böse Ritter.«
    Er beugt den Oberkörper vor, so dass ich ihn einen Moment nicht mehr sehen kann. Als er wieder in meinem Blickfeld auftaucht, sieht er sehr ernst aus. Er blinzelt ein paar Mal und nickt. »Na gut, so wird’s gemacht. Ja, das ist in Ordnung, ich werde …«
    Ich drücke die Klinke hinunter, aber irgendetwas steht auf der anderen Seite der Tür, sie lässt sich nicht öffnen. Plötzlich hat Jacob es sehr eilig, wie ich höre, und schließlich kommt er mit seiner Tasche aus dem Zimmer und geht mit mir zum Auto.
    »Mit wem hast du geredet?« Er schaut geradeaus und tut so, als hätte er mich nicht gehört.
    Den Rest des Nachmittags verbringen wir im Zoo. Wir sind oft hier, weil Jacob den Zoo liebt. Nur bin ich so erschöpft, dass ich wie ein Zombie herumlaufe. Ich weiß nicht, ob Vater es bemerkt, er erzählt wie immer begeistert von den Tieren. Er weiß viel über Tiere und kennt die unglaublichsten Details. Bisweilen sind es Vorträge, bei denen mein Biologielehrer nicht mithalten könnte. Trotzdem ist es mir ziemlich egal, warum ein Storch auf einem Bein steht, im Moment interessieren mich andere Fragen. Zum Beispiel, ob Vater mich noch gernhaben wird, wenn ich ihm von gestern Abend erzähle. Er wird sich große Sorgen machen, und ich glaube, einiges wird auchin die Brüche gehen ‒ an seinem Arbeitsplatz und an anderen Stellen. Er ist unser Vater, nur wieso hat er zwei Kinder, die so etwas tun? Vor einiger Zeit hat er mir anvertraut, dass es an der Hochschule Probleme gibt. Sollten Lehrer entlassen werden, dann hoffentlich nicht er. Was würde dann aus seiner schönen neuen Wohnung? Könnte er sie so schnell verkaufen? Ich habe ihn nicht nach dem Zinssatz gefragt. Meinem Eindruck nach hat er derzeit genug um die Ohren. Muss ich ihm zu allem Überfluss auch noch mitteilen, dass sein Sohn ein Mörder ist? Ich schaudere allein bei dem Gedanken an dieses furchtbare Wort.
    Jacob hingegen sieht aus, als würde er sich wohlfühlen, er hört Vaters Geschichten gern. Dass Störche nur einmal im Leben ein Paar bilden, gefällt ihm besonders gut.
    »Sie halten zusammen, egal was passiert«, sagt Vater. »Und wenn einer von ihnen stirbt, sucht sich der andere keinen neuen Partner.«
    »Lassen sie sich nicht scheiden?«
    »Nein, wenn’s schiefgeht, müssen das beide ertragen, dann ist es vorbei. Eigentlich ist das nicht sonderlich klug, denn dann bekommen sie auch keine Jungen mehr.«
    »Aber du hast eine neue Freundin, oder?«
    Diesmal gibt Vater zu, eine neue Freundin zu haben. Es ist Birthe.
    »Werdet ihr Kinder bekommen?«
    »Das glaube ich nicht.« Vater wirkt an diesem Punkt nicht ganz überzeugend. Jacob spürt es und wird nervös.
    »Wo ist sie jetzt?«
    »Zu Hause in ihrer Wohnung. Sie wohnt beinahe gegenüber, wir können uns zuwinken.«
    Jacob will wissen, wie alt sie ist und was sie macht, und Vater beantwortet jede seiner Fragen. Ich höre nicht zu, eserstaunt mich, dass Jacob plötzlich ein derartiges Interesse an ihr zeigt. Nur Vater wundert sich nicht, er erzählt nach Herzenslust. Und er freut sich richtig, als Jacob fragt, ob wir sie nicht bald einmal kennenlernen dürfen.
    »Wenn ihr das nächste Mal kommt, laden wir sie ein.«
    »Warum nicht heute Abend?«
    »So eilig ist es nun wirklich nicht«, werfe ich ein, denn wenn Vaters neue Freundin kommt, kann ich nicht erzählen, was ich ihm erzählen will.
    Aber Vater lacht und hat bereits sein Handy in der Hand.
    »Wieso willst du sie jetzt unbedingt kennenlernen?«, zische ich Jacob hinter Vaters Rücken zu, doch er läuft zu den Pinguinen.
    Wir sind kaum

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