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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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in Vaters Wohnung angekommen, als Birthe klingelt, um uns zu begrüßen. Sie ist klein, hat Sommersprossen und ist furchtbar nervös. Sie will eindeutig einen guten Eindruck machen. Vom Typ her erinnert sie an Mutter, nur das etwas jüngere Modell. Es enttäuscht mich ein bisschen, ich dachte, Vater hätte mehr Fantasie. Hätte doch lustig werden können, wenn seine neue Freundin zum Beispiel ein Mann wäre. Wie mein Kunstlehrer, der ist schwul. Ich mag ihn sehr, außerdem lobt er immer meine Bilder.
    Als ich an ihn denke, geht mir durch den Kopf, dass er in gewisser Weise alles ausgelöst hat. Schließlich haben wir bei ihm gelernt, Collagen zu kleben, und er hat mich bestärkt, das Unheimliche zu betonen. Ich hätte Talent dazu, hat er gesagt. Hätte er mich stattdessen aufgefordert, bei Wasserlilien zu bleiben, wäre Jacob beim Anblick meiner Arbeit der Schock erspart geblieben. Und auch diese merkwürdigen Albträume, in denen Personen aus meinen Collagen im Garten stehen. Mutter hätte nicht mit einem Baseballschläger in den Gartengehen müssen und so weiter, und so weiter. Wahrscheinlich hätten wir Anders niemals eingeladen, bei uns zu übernachten. Wenn mein Kunstlehrer jetzt hier wäre, könnte ich ihm die ganze Schuld in die Schuhe schieben, und er müsste mir aus der Patsche helfen. Ich weiß nicht, wie genau es aussehen könnte, aber es wäre schön, wenn ich zumindest ein wenig Hilfe von einem Erwachsenen bekommen könnte. Solche Gedanken gehen mir durch den Kopf, während Jacob und Vaters neue Freundin sich unterhalten, als seien sie alte Bekannte. Jacob scheint sie überraschenderweise gernzuhaben, ja, er wirkt geradezu verliebt, und Birthe mag ihn offensichtlich auch. Vermutlich hat Vater ihr von uns erzählt, vor allem von Jacob und den Schwierigkeiten, die wir mit ihm haben. Deshalb ist sie auch so nervös. Doch Jacob benimmt sich geradezu vorbildlich, und wir alle sind erleichtert. Irgendwann setzt er sich neben Birthe aufs Sofa und fasst nach ihrer Hand ‒ das allerdings ist des Guten fast schon zu viel. Ich habe das Gefühl, dass er es nicht ehrlich meint und Komödie spielt. Soweit ich weiß, hofft er noch immer, dass Vater zu Mutter zurückkehrt und wir wieder eine Familie werden.
    »Bleibst du über Nacht?«, fragt er Birthe.
    »Nein«, lacht sie. »Ich muss bald zurück nach Hause.«
    »Ach, wieso bleibst du nicht? Du sollst mir vorlesen, wenn ich ins Bett muss.« Er faltet die Hände und bettelt sie mit seinen großen blauen Augen an. Sie bekommt einen roten Kopf, so geschmeichelt fühlt sie sich.
    Es läuft viel besser, als Birthe zu hoffen gewagt hatte, und das bedeutet ihr offenbar viel. Ich fange an, sie ebenfalls zu mögen. Sie schaut hinüber zu Vater, er nickt. Jacob bekommt seinen Willen. Wenn sie allerdings nicht bald nach Hause geht, bleibt mir keine Zeit mehr, Vater alles zu erzählen. Dann muss ich bis morgen warten. Es ist ärgerlich, gleichzeitig stelltsich aber auch ein Gefühl der Erleichterung ein. Und kurz darauf überlege ich, dass ich es möglicherweise ebenso gut erzählen kann, wenn Mutter wieder zu Hause ist. Dann hören es beide.
    »Ich glaube, ich will jetzt ins Bett«, sagt Jacob. Ich wundere mich, denn diesen Satz habe ich von ihm noch nie gehört. Es ist erst neun. Hand in Hand geht er mit Birthe in unser Zimmer. Vater lächelt mir zu, er ist dankbar, dass alles so gut läuft. Wenn ich daran denke, wie nervös Birthe und er waren, ist es geradezu rührend. Und als ich höre, wie sie Jacob vorliest, stelle ich mich in die Tür unseres Zimmers und sehe mir die beiden an. Nett sieht es aus, aber ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll, denn ich habe nicht den Eindruck, dass Jacob zuhört. Er liegt einfach nur da und schaut Birthe verliebt an. Dann wünscht sie ihm eine gute Nacht und umarmt ihn, und er küsst sie auf den Mund. Auch das überrascht mich, denn so küsst er nur Mutter.
    Ich denke, das Klügste ist, bei ihm zu bleiben. Irgendetwas an seiner Vorstellung lässt mich misstrauisch werden. Nicht, dass ich ihn überwachen will, aber ich werde erst gehen, wenn er richtig eingeschlafen ist. Obwohl er mit geschlossenen Augen im Bett liegt, bin ich nicht sicher, ob er wirklich schläft. Andererseits fällt es mir schwer, selbst wach zu bleiben, denn gestern Nacht habe ich weitaus kürzer geschlafen als gewöhnlich. Ich lege mich auf mein Bett, nur für einen Moment.
    Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe, als Vater mich wachrüttelt. Wir

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