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Korridore der Zeit

Korridore der Zeit

Titel: Korridore der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poul Anderson
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Strahlen zwischen den mächtigen Baumstämmen wurden zu einem geisterhaften Grau, das seine Schatten auf den Boden warf. Immer mehr hatte Lockridge das Empfinden, durch einen endlosen Tunnel zu fliehen. Er begann schwer zu atmen. Jaulen warf sein Echo in den Wald, wieder wurde das Horn geblasen, er glaubte Hufe auf der kalten Erde trommeln zu hören.
    Vor ihm öffnete sich der Wald. Rauhreif blitzte auf Heidekraut, und der Limfjord lag schwarz und silbrig unter funkelnden Sternen. Lockridge hörte sich erleichtert aufatmen. Aber plötzlich kläfften und winselten die Hunde, das Horn schrillte, der Galopp wurde zum Donner. Sie haben meine Witterung, dachte er. Er war machtlos gegen die Furcht, die in ihm aufstieg. Als säße ihm der Teufel im Nacken, jagte er davon.
    Näher kam die Meute. Eine Frau schrie wie eine Wildkatze. Er brach in funkelnden Mondschein hinaus. Eine Meile entfernt, nahe der Küste, sah er eine schwarze Masse, in der es gelb glimmerte. Häuser – Er stolperte, stürzte in Stechginster, der ihn blutig schrammte. Er würde die rettende Unterkunft nie erreichen. In einer Minute mußten die Hunde da sein. Zum Waldrand also ... auf einen hohen Baum! Auf einem Ast balancieren, sich an den Stamm klammern, zum Schatten werden und abwarten!
    Über den Pfad und auf die Heide brach die Meute! Das waren keine Hunde, sondern wolfsähnliche Ungeheuer und riesige Reittiere, die Einhörnern ähnelten. Die da ritten, waren menschliche Wesen – zwei Männer und vier Frauen in Wardenuniform. Langes blondes Haar flatterte im Wind. Und auch das andere, ein zerrissener Körper über einem Sattel, war menschlich.
    Ein Mann stieß fast genau unter Lockridge in sein Horn. Um ein Haar hätte der Amerikaner den Halt verloren. Der Hörnerschall verursachte panische Angst! Es durchzuckte ihn, und er umklammerte den Baum, daß die harte Borke ihm die Haut zerriß.
    »Ho-yo! Ho-yo!« Die Frau, die die Gruppe anführte, schwenkte ihren Speer. Ihr Gesicht ähnelte den Zügen Storms. Im Galopp donnerte sie fort, bis die Hunde die Witterung verloren und winselnd zu schnüffeln begannen. Die Reiter zügelten ihre Tiere. Lockridge hörte, wie sie einander zuriefen. Ein Mädchen deutete eifrig auf den Wald. Sie wußte, was ihr Wild getan hatte. Aber die andern schienen keine Neigung zu verspüren, den Wald mit seinem dichten Buschwerk zu durchkämmen. Nach einer Weile jagten sie in breiter Reihe östlich über das kahle Land.
    Lockridge glitt von dem Baum herab. Vielleicht rechneten sie nicht damit, daß er in das Dorf drüben floh. Er füllte seine Lungen, winkelte die Arme an und begann zu laufen. Mondlicht tränkte die Erde, die Heide war grau, und das Wasser blitzte. Sicher würden sie ihn sehen, aber es blieb ihm nichts anderes übrig als zu laufen. War es die Furcht, die ihm diese Geschwindigkeit verlieh, oder hatten Mary und John ihm etwas injiziert?
    Die Siedlung bestand nur aus einer Ansammlung von Hütten. Obwohl sie feste Mauern hatten und ihre Dächer aus einer blitzenden synthetischen Masse zu bestehen schienen, kamen sie Lockridge enger und armseliger als die Hütten der Steinzeit vor.
    Er hämmerte an die erste Tür. »Lassen Sie mich ein!« rief er. »Hilfe!«
    Keine Antwort kam, nichts rührte sich. Er taumelte zur nächsten Hütte, trommelte mit den Fäusten gegen das Holz. »Hilfe! In Ihrem Namen – Hilfe!«
    Jemand wimmerte, eine bebende Männerstimme rief: »Gehen Sie fort!«
    Fern auf der Heide verstummten die Geräusche der Meute, setzten wieder ein und kamen näher.
    »Verschwinden Sie!« rief der Mann hinter der Tür. Lockridge warf sich gegen das Holz und prallte schmerzhaft zurück. Er lief weiter in die Ortschaft, in deren Mitte eine Art Platz war. Neben einem primitiven Brunnen erhob sich ein zwanzig Fuß hohes Antoniuskreuz, an dem ein Mann hing. Er war tot. Lockridge eilte weiter. Wieder hörte er das Trommeln der Hufe. Am andern Ende der Siedlung lagen Felder, die Kartoffeln getragen haben mochten. Im klaren Mondlicht sah Lockridge die Spuren der Reiter. Eine Hütte, die noch schäbiger als die anderen war, erhob sich daneben. Kreischend öffnete sich die Tür. Eine alte Frau trat heraus und rief: »Hierher, Sie! Schnell!«
    Lockridge stolperte über die Türschwelle. Die Frau schloß die Tür hinter ihm und verriegelte sie. »Sie werden nicht in die Ortschaft kommen«, murmelte sie betrunken. »Ist kein Sport, einen zusammengeschlagenen Mann zu töten. Und ich sage, ein Wildläufer ist ein Mann.

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