Korsar meiner Träume
es war nichts, verglichen mit der Wut, die in ihrem Innern tobte. Nate hatte Geld, offenkundig brauchte er den Schatz nicht, um Essen auf seinen verdammten Tisch zu bringen, und doch war er hinter der einen Sache her, die Claire wollte. Sie konnte ihn nicht damit davonkommen lassen. Sie würde es nicht zulassen.
»Was hat er jemals für dich getan, um solche Loyalität zu verdienen?«, wollte sie wissen.
Vincent richtete sich kerzengerade auf.
»Er stand hinter mir, seit dem Tag, an dem ich ihm begegnet bin. Er hat mich wie einen Gleichgestellten behandelt, anders als die meisten, die dazu neigen, nur auf meine Größe zu schauen und nichts weiter zu sehen, als einen halben Mann. Nate behält die Dinge für sich, das stimmt, aber er hat niemals gezögert. Wenn er etwas sagt, dann weißt du, dass du dich darauf verlassen kannst.«
»Darauf verlassen?«, spie Claire hervor.
»Der Mann lügt, Vincent. Er hat mich angelogen, dich und wahrscheinlich jeden sonst, dem er begegnet ist. Er kann sich hinter seinem Charme verstecken, aber tief in seinem Herzen interessiert er sich nur für sich selbst.«
»Es tut mir leid, aber das ist nicht der Mann, mit dem ich seit sechs Jahren gesegelt bin.«
Claire ballte ihre Hände zu Fäusten und stieß sich vom Tisch ab. Sie stolperte beinahe wegen ihrer rastlosen Energie, der Raum erschien ihr auf einmal viel zu klein. Was konnte sie sagen, fragte sie sich, das Vincent bewegen würde, das ihn überzeugen würde, seinen Freund anzulügen, um einer Fremden zu helfen?
Die Wahrheit, dachte sie, und ihr Bauch verkrampfte sich bei dem Gedanken. Falls Vincent Aufrichtigkeit so wichtig war, dann war das Einzige, das Claire einfiel, was einen Unterschied machen würde, die nackte Wahrheit. Sie presste sich eine Hand auf den Magen. Nun ja, ein Teil der Wahrheit wenigstens. Claire hatte auf die harte Art lernen müssen, sich auf niemanden zu verlassen, da man sie üblicherweise am Ende betrog. Aber als sie Vincent ansah, seine großen braunen Augen und seinen aufrichtigen Blick, als er sich weigerte, Nate zu betrügen, da war Claire versucht, sich auf ihn zu verlassen.
»Sag mir, weshalb dir das so viel bedeutet.«
»Schau mich doch an!«, heulte sie und deutete auf ihre Kleider.
»Ist es nicht offensichtlich, weshalb ich diesen Schatz brauche?«
»Claire«, Vincents Lächeln war traurig, »wenn ich glauben würde, es ginge dir bloß ums Geld, dann würde ich dir etwas von meinem abgeben. Aber ich denke, hier geht es um mehr als eine Karte und einen Schatz.«
Vielleicht war sie müde oder des ewigen Kämpfens ganz einfach überdrüssig. Jedenfalls spürte Claire, wie sie weich wurde. Seufzend setzte sie sich hin, und die Gefühle tobten heftig in ihrer Brust.
»Als du und Nate zusammen im Waisenhaus wart, da habt ihr einander geliebt, nicht wahr?«
Claire rutschte auf ihrem Stuhl herum.
»Du kommst wohl immer direkt zur Sache?«
Vincent lächelte.
»Du und Nate habt eine Menge gemeinsam. Keiner von euch ist besonders mitteilsam. Da es, was Nate betrifft, nichts gebracht hat, direkt zu fragen, da dachte ich, ich könnte es bei dir versuchen.« Er zuckte die Achseln.
»Schlimmstenfalls sagst du mir einfach, dass ich den Mund halten soll.«
»Ich nehme an, das hast du schon ein- oder zweimal zu hören bekommen?«
»Öfter als ich zählen kann, meine Liebe«, antwortete er und rollte vielsagend mit den Augen.
Sie mochte ihn. Zugegeben, sie hatte ihn gerade erst kennengelernt, aber Vincent umgab eine Leichtigkeit, eine natürliche Art, die Vertrauen schuf. Dies und die Tatsache, dass sich schon so lange niemand mehr um sie gesorgt hatte, ließen Claires Vorsicht schwinden. Sie fasste nicht leicht Vertrauen, und sie würde Vincent auch nicht alles offenbaren, aber was sollte schon passieren, wenn sie ein wenig mit ihm plauderte? Außerdem war Vincents Verständnis ihre letzte Hoffnung, den Rest der Karte zu bekommen.
»Ich liebte ihn so sehr, wie ein junges Mädchen von vierzehn Jahren es nur konnte.«
»Vierzehn?«, fragte er verblüfft.
»Ich kannte ihn schon ein paar Jahre zuvor, aber erst als ich vierzehn war, wurde mir klar, dass ich ihn liebte.«
»Ich nehme mal an, ihm ging es ebenso.«
»Dann nimmst du etwas Falsches an.«
Vincent legte den Kopf schief.
»Nate neigt nicht dazu, seine Gefühle zu zeigen. An Deck ist er eine feste Größe. Ganz gleich, ob wir in einer Schlacht sind oder ruhig dahintreiben, sein Auftreten ist immer gleich. Aber heute Abend war es
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