Korsar meiner Träume
denn das war die traurige Wahrheit. Sobald ihr Vater die Karte erst einmal gefunden hatte, war er nicht mehr zu stoppen gewesen.
»Du weißt also, der Schatz kam aus Nombre De Dios, aber weißt du auch, was danach damit passiert ist?«, fragte Claire.
»Nur, dass die Santa Francesca mit einem Schatz aus Nombre De Dios lossegelte, der einzigartig war. Es soll die wertvollste Schiffsladung gewesen sein, die Panama jemals verlassen hat. Das Schiff segelte mitten in der Nacht los, einen Tag vor der eigentlich geplanten Abreise, nur um es vor Piraten zu schützen.«
»Ganz genau. Und es wurde drei Tage später gefunden, der Rumpf an den Felsen nahe Cartagena zerschellt. Der Schatz wurde nicht gefunden. Nicht mal eine Münze lag im Wasser.«
»Also waren die Piraten schon vorher da«, sagte er.
Claire schüttelte den Kopf.
»Es waren keine Piraten«, sie lächelte spöttisch.
»Piraten hätten sich nicht die Mühe mit der Karte gemacht. Bei dem, was auf der Santa Francesca war, hätten sie einander nicht getraut und den Schatz nicht vergraben.«
»Du sagst das so, als ob du Erfahrungen mit Piraten gemacht hättest.«
»Habe ich. Ich habe mehr als einmal gesehen, welche Verwüstung und welches Blutvergießen die Piraten zurücklassen. Sie sind abscheulich, jedenfalls die meisten von ihnen.«
Vincent runzelte die Stirn, schien über etwas nachzudenken, dann schüttelte er seinen Kopf.
»Wer hat den Schatz dann genommen, wenn es nicht die Piraten waren?«
»Niemand.«
»Niemand? Irgendjemand muss ihn doch genommen haben, oder man hätte ihn auf dem Schiff gefunden.«
»Nicht«, antwortete Claire und hob erklärend den Finger, »falls es von Anfang an der Plan gewesen war, die Santa Francesca zu zerstören.«
»Heiliges Kanonenrohr. Aus welchem Grund?«
Claire beugte sich über den Tisch. Dieselbe Aufregung, die sie einst mit ihrem Vater geteilt hatte – die, die im Laufe der Zeit verschwunden und der Hoffnungslosigkeit gewichen war -, schoss wieder durch sie hindurch. Sie mochte zwar den Schatz nicht gefunden haben, aber sie hatte genügend Zeit damit verbracht, wenigstens einen Teil des Rätsels zu lösen.
»Denk darüber nach, Vincent. Auch wenn die Santa Francesca nachts losgesegelt ist, war sie immer noch ein Angriffsziel. Piraten und Freibeuterschiffe sind zu allen Tageszeiten in diesen Gewässern unterwegs. Sie wäre leicht zu entdecken gewesen, vor allem von denjenigen, die gierig genug waren, sie zur Strecke zu bringen. Doch wenn man sie auf Grund gesetzt hätte, was dann? Der Schatz konnte auf jedes beliebige Schiff umgeladen werden, und niemand würde davon erfahren.«
Vincent runzelte die Stirn.
»Aber wenn der Schatz auf jedem beliebigen Schiff sein konnte, ist es dann nicht naheliegend, dass er schon lange verloren ist? Ich meine, es gibt keine Möglichkeit, herauszufinden, wo er hingebracht wurde oder mit welchem Schiff das geschah. Oder etwa doch?«, fragte er und legte den Kopf schief.
»Ich habe die ganze Gegend erforscht. Es gab etwa zur selben Zeit drei Schiffe in diesen Gewässern. Unglücklicherweise verschwanden sie in drei verschiedene Himmelsrichtungen, und obwohl ich an den wahrscheinlichsten Zielorten nachgesehen habe, war die Gegend zu weit ausgedehnt, um eine gründliche Suche zu starten. Hiermit!« – sie klopfte sich wieder auf die Brust – »werde ich nicht mehr länger herumraten müssen.«
Vincent schüttelte den Kopf.
»Claire. Dafür gibt es keine Garantien.«
»Das weiß ich. Wenn jemand das weiß, dann bin ich das. Aber ich spüre es, und mein Vater tat es ebenfalls. Diese Karte führt zu dem Schatz.« Und mit etwas Glück auch zu einem Anhaltspunkt, was mit ihrem Vater geschehen war.
»Wie kam es, dass du einen Vater hattest und trotzdem im Waisenhaus warst?«
Claire seufzte. Zuerst war sie wütend gewesen, als ihr Vater sie ins Waisenhaus gebracht hatte. Als die Wochen zu Monaten wurden, war ihr Zorn mit jedem Tag gewachsen, an dem er nicht zurückkam, um sie zu holen. Aber dann, nach erst einem Jahr, dann zweien, war ihr Zorn der Angst gewichen, dass sie ihn niemals wiedersehen würde.
»Als meinem Vater klar wurde, dass er sich auf eine lange Fahrt begeben musste, hat er mich im Waisenhaus auf San Salvador zurückgelassen. Er hat versprochen zurückzukommen, sobald er den Schatz gefunden hatte.«
»San Salvador? Kommt ihr, du und Nate, von dort?«
»Ja.«
Vincent nickte, dann drückte er ihre Hand.
»Aber dein Vater kam nie zurück, nicht
Weitere Kostenlose Bücher