Korsar meiner Träume
glaubte, warum er auf diesem Schiff war, doch eine Sache wusste er ganz genau. Falls sie sich verteidigen mussten und sie herausfände, dass er ein Pirat war, und, um es genau zu nehmen, Sam Steele, dann wäre es gewiss besser, er hätte bis dahin die vollständige Karte, denn sonst würde er sie wohl nie ganz bekommen.
Nate hatte die Karte schon immer haben wollen. War wirklich davon besessen gewesen. Da er bereits sein eigenes kleines Vermögen besaß, konnte er nicht erklären, weshalb die Karte ihm so viel bedeutete, wie sie das tat. Er hatte sich ein Haus gebaut und war bereit, das Piratenleben hinter sich zu lassen. Aber erst, nachdem er den Schatz hatte.
Nates Blick verweilte ein wenig auf Claire. Nach all diesen Jahren waren sie nun hier zusammen und suchten nach dem Schatz. Es war zwar nicht auf die Art und Weise, die sie damals besprochen hatten, aber nichtsdestotrotz hatte die Zeit sie wieder zusammengebracht. Nate konnte nicht verhindern, darüber nachzudenken, wie anders sein Leben hätte verlaufen können, wie viel aufregender es gewesen wäre, wenn das Band ihrer Freundschaft immer noch intakt gewesen wäre.
Claire war sein erster echter Freund gewesen, und lange bevor er sich in sie verliebt hatte, hatte er sie für dieses Geschenk geliebt, das sie ihm gemacht hatte. In ihrer Gegenwart fühlte er sich vollständig. Zum ersten Mal hatte er sich gefühlt, als ob er jemandem wichtig wäre. Endlich war da ein Mensch auf dieser erbärmlichen Welt gewesen, dem es nicht egal war, was mit Nate Carter passierte. Obwohl es ihn verletzt hatte, die Frau zu verlieren, die er geliebt hatte, war es doch die Freundschaft gewesen, die er am meisten betrauert hatte. Und falls der Schmerz in seinem Herzen ein Indiz dafür war, dann vermisste er ihre Freundschaft immer noch.
Er beobachtete sie, bemerkte, wie sie sich vom Bug abwandte, und obwohl er ihren Blick nicht sehen konnte, spürte er doch dessen Schärfe. Nachdem sie ihn eine lange Zeit angesehen hatte – lange genug, nahm er an, um ihn zur Hölle zu verdammen – verschwand sie unter dem Rettungsboot. Nate seufzte. Die Dinge hätten ganz anders sein können.
Verdammt sollte er sein, wenn es ihm leidtäte, dass sie es nicht waren.
Claire schloss die Augen, wünschte sich, ihre Träume könnten sie von dem Schmerz erlösen, der sie niemals zu verlassen schien. Der Schmerz, erst ihren Vater zu verlieren, dann Nate, dann der Schmerz wegen ihrer entsetzlichen Ehe. Den Schmerz, arm zu sein, gezwungen zu sein, so zu leben, wie sie es getan hatte. Allein zu sein.
Sie zog ihre Tasche enger an sich, wünschte sich mit all ihrer Kraft, sie wäre eine Person, an der sie sich festhalten könnte, anstatt bloß ein Ding. Sie war wütend auf Nate, nahm ihm übel, was er mit ihr gemacht hatte, aber im hintersten Winkel ihres Herzens wünschte sie sich, er hätte sich darüber gefreut, sie zu sehen. Dass er seinen Fehler zugegeben und sie in seine Arme genommen hätte. Dass er gesagt hätte, er würde sie immer noch lieben.
Stattdessen hatte er versucht, ihr zu entkommen, dann hatte er sie beleidigt, und schließlich hatte er das Einzige genommen, was ihr auf dieser Welt noch geblieben war. Die Karte. Sie erinnerte sich noch an sein Verhalten ihr gegenüber im Waisenhaus. Zunächst war er schüchtern gewesen, dann schien er Gründe gesucht zu haben, in ihrer Nähe zu sein. Sein Lächeln war furchtsam gewesen, aber seine Augen, diese lebendigen grünen Augen, hatten sie zu ihm hingezogen. Als sie einander besser kennenlernten, da war sie von seiner Sanftmut und Geduld den jüngeren Kindern gegenüber fasziniert gewesen, von den kleinen Gesten, die er gemacht hatte, damit sie lächelte und sich als etwas Besonderes fühlte.
Nate hatte ihr Wildblumen gepflückt und sie dort liegen gelassen, wo Claire diese gewiss finden würde, während sie ihre Hausarbeit erledigte. Trotz seiner eigenen Pflichten war er immer in der Nähe gewesen, um ihr mit einer schweren Ladung Wäsche zu helfen oder das schmutzige Spülwasser auszuleeren. Sie hatte sich mit der Zeit in ihn verliebt, dann von einem Leben mit ihm geträumt. Niemals, nicht einmal in ihren schlimmsten Alpträumen, hatte sie je daran gedacht, dass es zu einer Situation wie der gegenwärtigen kommen würde.
Die Dämmerung brach mit atemberaubendem Farbspiel an, als ob eimerweise rosafarbene und violette Töne, sanftes Gelb und Orange über dem Horizont ausgegossen worden wären. Da das Steuer festgemacht und sonst
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