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Krabat (German Edition)

Krabat (German Edition)

Titel: Krabat (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otfried Preußler
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für eine halbe Nacht, um darüber nachzudenken.
    Die Mädchen sangen, die Glocken läuteten.
    Dass es nach einer Weile wieder zu regnen aufhörte: Krabat merkte es nicht. Für ihn gab es weder Regen zu dieser Stunde noch Wind, weder Wärme noch Kälte, kein Licht und kein Dunkel: für ihn gab es nur die Kantorka jetzt, ihre Stimme – und die Erinnerung daran, wie ihre Augen geleuchtet hatten im Schein der Osterkerze.
    Diesmal war Krabat entschlossen nicht wieder aus sich hinauszugehen. Hatte der Meister sie nicht die Kunst gelehrt, in Gedanken zu einem anderen Menschen zu sprechen, »dass er die Worte hören kann und versteht, als kämen sie aus ihm selbst«?
    Gegen Morgen sprach Krabat die neue Formel. Er richtete alle Kraft, die in seinem Herzen war, auf die Kantorka: bis er zu spüren glaubte, nun habe er sie erreicht – und da sprach er zu ihr.
    »Es bittet dich jemand, Kantorka, dass du ihn anhörst«, sprach er. »Du kennst ihn nicht, er aber kennt dich seit Langem. Wenn du an diesem Morgen das Osterwasser geschöpft hast, dann richte es auf dem Heimweg ein, dass du hinter den anderen Mädchen zurückbleibst. Allein musst du gehen mit deinem Wasserkrug, weil der Jemand dich treffen will – und er mag nicht, dass es vor aller Augen geschieht, weil es nur dich etwas angeht und ihn und sonst niemanden auf der Welt.«
    Dreimal beschwor er sie, stets mit den gleichen Worten. Dann graute der Morgen herauf, der Gesang und die Glocken verstummten. Nun wurde es Zeit, dass er Lobosch den Drudenfuß ziehen lehrte und dass sie sich mit dem Mal versahen, einer den anderen, mit den Spänen vom Holzkreuz, die Krabat mit Tondas Messer vom Stamm geschnitten und in der Glut hatte ankohlen lassen.
     
    Krabat hatte es auf dem Heimweg so eilig, als sei er vom Ehrgeiz besessen, dass sie die Ersten sein müssten, die in der Mühle eintrafen. Lobosch vermochte auf seinen kurzen Beinen kaum Schritt zu halten.
    Kurz vor dem Koselbruch, bei den ersten Büschen, blieb Krabat stehen. Er kramte in seinen Taschen, dann griff er sich an den Kopf und sagte: »Ich hab es beim Holzkreuz liegen lassen  … «
    »Was?«, fragte Lobosch.
    »Das Messer.«
    »Das du von Tonda bekommen hast?«
    »Ja – von Tonda.«
    Der Junge wusste, dass Tondas Messer das einzige Andenken war, das Krabat von ihm besaß.
    »Dann müssen wir umkehren«, sagte er, »und es holen!«
    »Nein«, widersprach ihm Krabat und hoffte, dass Lobosch den Schwindel nicht merken werde. »Lass mich allein zurücklaufen, das geht schneller. Du kannst dich einstweilen unter die Büsche setzen und auf mich warten.«
    »Meinst du?« Der Knirps unterdrückte ein Gähnen.
    »Ich meine es, wie ich’s gesagt habe.«
    Während Lobosch sich unter den Sträuchern ins feuchte Gras setzte, eilte Krabat zurück an die Stelle, wo, wie er wusste, die Mädchen vorbeikommen mussten, wenn sie das Osterwasser nach Hause trugen: dort schlug er sich in die Hecken.
    Nicht lange, da kamen die Mädchen mit ihren Wasserkrügen und zogen in langer Reihe an ihm vorüber. Die Kantorka, Krabat sah es, war nicht dabei. Sie hatte ihn also gehört und sie hatte verstanden, worum er sie aus der Ferne gebeten hatte.
    Als dann die Mädchen verschwunden waren, sah er sie kommen. Allein kam sie, fest in ihr wollenes Umtuch gehüllt. Da trat er hervor und ging auf sie zu.
    »Ich bin Krabat, ein Mühlknappe aus dem Koselbruch«, sagte er. »Fürchte dich nicht vor mir.«
    Die Kantorka blickte ihm ins Gesicht, ganz ruhig, als habe sie ihn erwartet.
    »Ich kenne dich«, sagte sie, »denn ich habe von dir geträumt. Von dir und von einem Menschen, der Böses mit dir im Sinn hatte – aber wir haben uns nicht geschert um ihn, du und ich. Seither hab ich darauf gewartet, dass ich dich treffen würde: und jetzt bist du also da.«
    »Ich bin da«, sagte Krabat. »Aber ich kann nicht lang bleiben – sie warten auf mich in der Mühle.«
    »Auch ich muss nach Hause«, sagte die Kantorka. »Ob wir uns wiedersehen?«
    Dann tauchte sie einen Zipfel des Umtuches in den Krug mit dem Osterwasser – und ohne ein Wort zu sagen, wischte sie Krabat den Drudenfuß von der Stirn: ganz sachte und ohne Eile, wie selbstverständlich.
    Da war es dem Burschen, als habe sie einen Makel von ihm genommen. Und Krabat war ihr unendlich dankbar: dass es sie gab und dass sie ihm gegenüberstand und ihn anblickte.

 
    Lobosch war unter den Büschen am Waldrand eingeschlafen. Als Krabat ihn weckte, machte er große Augen und fragte:

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