Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)
zehn Zentimeter überragt. Breite Schultern, schmale Hüften und ein herrisches Auftreten. Der Mann war bestimmt Mitte bis Ende dreißig, sah aber
verdammt geil aus. Allein der Gedanke an dessen knackigen Arsch in der engen Lederkombi ließ das Blut heißer durch Rainers Adern rauschen.
Seufzend verdrängte er die Bilder und widmete sich wieder dem Tank der Kawasaki. Deren giftgrüne Originalfarbe bildete auf Wunsch des Kunden weiterhin den Untergrund. Darüber
hatte Rainer inzwischen ein Wirrwarr miteinander verwobener Schlangenkörper gesprayt. Die Biester schillerten in allen Farben des Regenbogens.
Bei jedem Farbwechsel hatte er sich angewidert geschüttelt. Wie konnte man das Aussehen der Maschine nur so verschandeln?
Mit Engelszungen hatte er während der Auswahl auf den Besitzer eingeredet, aber der wollte sich nicht überzeugen lassen, dass es für diese Karre erheblich schönere und
passendere Motive gab.
Na ja, des Menschen Wille ist sein Himmelreich, und er musste mit dem Teil schließlich nicht durch die Gegend fahren.
Vor knapp zwei Jahren hatte Rainer sich mit seinem Freund und Arbeitskollegen Jörg selbstständig gemacht. Seitdem hatte er viele grauenvolle Kundenwünsche erfüllen
müssen. Eigentlich sollte es ihn nicht mehr stören. Bei den Autos ließ es ihn verhältnismäßig kalt, aber Motorräder zu verunstalten, ging ihm gehörig gegen
den Strich. Rainer liebte Motorräder, sie waren seine große Leidenschaft. Dazu konnte er an den Feuerstühlen seine künstlerischen Ideen verwirklichen.
Allerdings kamen die meisten Kunden mit bestimmten Vorstellungen und ließen sich nur schwer davon abbringen. So wie der Fahrer der Kawasaki.
Endlich hatte er die letzten Farbhighlights gesetzt und betrachtete sein Werk von allen Seiten. Er hatte gute Arbeit geleistet, auch wenn er das Motiv unpassend fand.
Jetzt musste noch der schlag- und kratzfeste Lack aufgetragen werden. Bis morgen wäre die Versiegelung trocken, dann konnte die Maschine wieder zusammengebaut werden.
Rainer ging zu seinem Schreibtisch, um den Kunden telefonisch zu informieren, dass die Kawasaki am nächsten Tag, kurz vor Feierabend, zur Abholung bereit wäre. Bevor er den Hörer
in die Hand nehmen konnte, kam ein Anruf herein.
„Metallic Paint, Rainer am Apparat“, meldete er sich.
„Marcel hier. Ich will wissen, wann ihr mit meiner Harley fertig seid.“
Verflucht, der Mistkerl hatte vielleicht einen arroganten Ton am Leib. Rainer schloss vor Wut die Finger so fest um den Hörer, dass das Plastikmaterial knirschte und knackte.
„Du wirst dich noch ein paar Tage gedulden müssen. Das Motiv ist sehr aufwendig, und du willst doch anständige Arbeit geliefert bekommen. Vor Montag werden wir nicht
fertig.“
Er knurrte die Antwort in den Hörer, mit der Gewissheit, dass das nicht kundenfreundlich war. Dieser Kerl ging ihm gehörig auf die Eier. Konnte der nicht höflicher fragen?
„He Mann, am Wochenende will ich eine Tour machen, dafür brauche ich mein Baby! Dann stell mir gefälligst eine andere Karre zur Verfügung!“
„Ich hab hier keine Verleihfirma! Wir rufen an, wenn deine Maschine fertig ist!“
Mit einem laut gebrüllten „Fuck!“ knallte Rainer den Hörer auf.
„Sag nicht, das war Mr. Macho, und du hast den so angeblafft“, tönte es von Jörg. Sein Gesicht musste man gar nicht sehen, das Grinsen tropfte aus den Worten nur so
heraus.
Wütend stapfte Rainer um den Schreibtisch herum und ließ sich in den alten, quietschenden Drehstuhl fallen.
„Dieser Wichser will sich am Wochenende mit der Karre vergnügen. Jetzt sollen wir ihm eine leihen, damit er seinen Spaß haben kann. Was denkt der, wer wir sind? Blöder
Idiot! Arrogantes, eingebildetes Arschloch! Der kann mich mal!“
Mit beiden Händen fuhr Rainer sich fahrig durch die Haare. Warum regte dieser Spinner ihn nur so auf? Normalerweise ließ er sich doch nicht so schnell aus der Ruhe bringen. Jörg
war der aufbrausende Teil ihres Gespanns.
Dieser Sack grinste jetzt noch unverschämter und verpasste ihm eine volle Breitseite.
„Rain, kann es sein, dass dir der Typ unter die Haut geht?“, kicherte er dämlich. „Vom Aussehen passt der schon in dein Beuteschema, aber körperlich ist er dir
garantiert überlegen, und er wird sich mit Sicherheit nicht dominieren lassen. Wenn er überhaupt schwul ist.“
Laut lachend schlug Jörg sich zur Krönung seiner Rede auf die Schenkel. Rainer hätte ihm den Hals umdrehen können, zumal er es wie
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