Krank für zwei
Frau, die Brigitte hieß, nickte stumm und machte sich Notizen.
»Apropos Sekretärin«, die Hauptkommissarin wandte sich jetzt an den Sommersprossigen. »Von der müßten ebenfalls Fingerabdrücke an der Türklinke sein.«
»Natürlich, habe ich vergessen zu erwähnen. Die Sekretärin hat sich auch verewigt. Als der Chef nach mehrmaligem Klopfen nicht geantwortet hat, hat sie die Tür geöffnet. Ihre Abdrücke waren an der Außenklinke leicht zu identifizieren. Als Täterin müßte sie schon erst mit einem Handschuh hantiert und anschließend bewußt Fingerabdrücke hinterlassen haben.«
»In Bezug auf die Sekretärin ist noch ein anderer Punkt wichtig«, hielt Marlene Oberste fest. »Sie kam gegen viertel nach sieben. Das hat auch der Pförtner bestätigt. Bertram, was sagt die Autopsie über den genauen Todeszeitpunkt?«
»Kurz vorher«, Bertram sprach sehr langsam und bedacht, »dafür gibt es einen triftigen Grund, und das ist das Kreuz. Frau Dr. Mahler sagt, daß nach Eintreten des Todes nur noch langsam Blut nachgesickert sein kann. Das ist immer so, wenn das Herz zum Stillstand kommt. Als wir eine gute Stunde später den Toten gesehen haben, waren T-Shirt und Kittel ziemlich durchtränkt. Das Kreuz war nicht sehr gut erkennbar. Die Tatsache, daß die drei Personen, die die Leiche gefunden haben, das Kreuz noch sehen konnten, zeigt eindeutig, daß sie unmittelbar nach dem Täter im Raum gewesen sein müssen. Vielleicht zwei Minuten später oder drei, um eine Zahl zu nennen.«
Einen Moment sagte keiner etwas. Allen war klar, daß der Täter um ein Haar in flagranti erwischt worden war.
»Ich habe hier ein paar Fotos von der Leiche«, sagte Bertram und hielt die Aufnahmen hoch, »angefertigt etwa eine Stunde nach der Tat. Hier sieht man eigentlich kein Kreuz mehr, sondern nur noch den roten Fleck.«
»Der Täter hat also Glück gehabt«, faßte Hauptkommissarin Oberste zusammen. »Er konnte nicht damit rechnen, daß die Sekretärin schon um viertel nach sieben aufkreuzt. In der Regel kommt sie erst gegen halb acht. Außerdem geht sie gar nicht bei ihrem Chef ins Zimmer, sondern direkt in ihr Büro.«
»Das heißt, im Normalfall hätte er eine Viertelstunde mehr Zeit gehabt.« Kollegin Brigitte legte die Stirn in Falten.
»Hätte er, wenn Frau Merz nicht am Freitag ihren Büroschlüssel dem Chef geliehen hätte und wenn sie nicht eher gekommen wäre, weil die monatliche Abrechnung anstand. Das haben wir ja gestern schon nach der Befragung von Frau Merz gehört.« Marlene Oberste ging ein paar Schritte umher. »Kommen wir zurück zum Tathergang. Was passierte, bevor die Sekretärin Peuler fand? Wir waren da eben an einem wichtigen Punkt, als es um die Tatwaffe ging. Peuler hat gestern wie immer ab sieben Uhr in seinem Büro gesessen. Mitarbeiter haben erklärt, das sei sein morgendliches Ritual vor den Operationen gewesen, bei dem er nicht gestört werden wollte. Wir können also davon ausgehen, daß der Täter Peuler ganz bewußt zu dieser Zeit aufgesucht hat. Eine Tat im Affekt ist auszuschließen, weil der Täter vermutlich Handschuhe getragen hat.«
»Dagegen spricht noch eine andere Sache«, erklärte der Sommersprossige, »Peuler hat an seinem Schreibtisch gearbeitet. Vor ihm lag eine Mappe mit Unterlagen. Und genau in dieser Haltung ist er erschlagen worden. Peuler war seinem Opfer nicht zugewandt.«
»Gut, Jan, daß du das noch einmal ansprichst«, sagte Marlene Oberste, »wenn wir uns die Situation noch einmal vorstellen, erscheint es in der Tat so, als habe Peuler seinen Täter gekannt. Wäre ein Fremder hereingekommen, hätte er sicher nicht weitergearbeitet. So aber scheint er in seine Unterlagen vertieft gewesen zu sein, als der Täter zuschlug.«
»An dieser Stelle habe ich eine echte Neuigkeit«, Kollege Jan wedelte mit einem Papier. »Bericht der Spurensicherung. Wie wir alle wissen, lag Peulers Kopf in einer Blutlache. Trotzdem ließen sich am Rand der Mappe, über der Peuler zusammengebrochen ist, winzige Schleifspuren nachweisen.«
»Schleifspuren?« Oberste blickte irritiert.
»Nun, Blutspuren, die darauf hindeuten, daß etwas über das Papier gezogen wurde. Aller Wahrscheinlichkeit nach ein anderes Papier. Kurz und gut: Jemand hat dem Peuler ein Blatt Papier unter dem Kopf weggezogen.«
»Bingo!« Marlene Oberste war freudig erregt. »Das paßt zu den Schreibtischschubladen. Jemand hat etwas gesucht. Etwas, das nicht gefunden werden soll. Darauf müssen wir unser ganzes
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