Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
modern werden. Ein Großteil der Begleitmusik beim Sozialabbau im Gesundheitswesen will schlicht den Leistungsabbau bei armen, behinderten und alten Menschen übertönen. Mittlerweile spricht der heutige Ärztekammerpräsident Hoppe offen davon, dass Hinz und Kunz sich bestimmte medizinische Leistungen mal besser gleich abschminken sollen; er sagt: »Nicht jeder Krebspatient bekommt heute das sehr teure Krebsmedikament.« Hoppe beklagt weniger diesen Umstand als das Schweigen der Politiker darüber. Man solle das den Leuten bitte sagen.
Okay, ich bin Realistin und stelle mir vor, wie das geht. Ich denke an den Budgetdruck der Krankenhäuser und ich stelle mir vor, was da auf unsere Ärzte zukommt, die sich wohl vermehrt Gedanken darüber machen müssen, ob nun eher Patient A weiterleben und eine individuelle Sonderbehandlung erfahren und Patient B in die Kiste soll, oder ob er es nicht vielleicht genau andersherum machen sollte.
Hoppe: »Im deutschen Gesundheitswesen wird heimlich rationiert …« Aha!
Großzügige Bezahlung von Krankenkassen-Chefs: Die insgesamt höchsten Bezüge erhielt 2008 ein Vorstand, dessen Verantwortungsbereich sich weder auf eine bundesweite Zuständigkeit noch auf einen millionenstarken Versichertenkreis bezieht. Mit rund 272 000 Euro Jahressalär führt der Chef einer Krankenkasse in Schleswig-Holstein die Liste der Vorstandsbezüge an und erhält damit ein höheres Gehalt als die Bundeskanzlerin. Der Hintergrund: Er ist gleichzeitig Vorstandsvorsitzender mehrerer, teils regionaler Kassen.
Schauen wir uns doch ein bisschen in der Holzklasse des deutschen Gesundheitswesens um. Die Holzklasse ist dort, wo die Bunte nie hinkommt. Es ist kein Einzelfall, der sich in Sachsen abspielte. Eineinhalb Wochen vor seinem Tod wurde der 1923 geborene Patient wegen eines Hexenschusses in die Geriatrie eines kirchlichen Krankenhauses in Potsdam eingeliefert. Die Einweisung erfolgte, weil seine Frau, ebenfalls im betagten Alter, ihm weder beim Aufstehen helfen noch ihm die sonst notwendigen Hilfestellungen leisten konnte. Der Patient wurde bei der Einlieferung begleitet von seiner Frau. Und sie beschreibt mir (ich ließ das Band mitlaufen) in lupenreinem Sächsisch den ersten Tag wie folgt:
»Mein Mann wurde wegen der vorhandenen Schmerzen gespritzt; und beim zweiten Besuch am selben Abend stellte ich schon fest, dass seine Wahrnehmungsfähigkeit außer Kraft war. Sie haben ihn schlicht und ergreifend mit der Spritze ruhiggestellt. Am Abend stellte ich fest, dass das am Vormittag gereichte Brot auf seinem Nachttisch am Bett unverändert und unangerührt dastand. Mein Mann war auf die Hilfe des Pflegepersonals angewiesen. Ich ging zum Stationspersonal und erfuhr, dass die ganze Arbeit aufgrund von Pflegepersonalmangel einfach nicht zu bewältigen sei.
Zurück im Zimmer bemerkte ich, wie mein Mann immer unruhiger wurde und zitterte. Mehrfach habe ich nach dem medizinischen Personal gerufen, bis nach langer Zeit irgendwann jemand kam und meinem Mann kommentarlos eine Spritze verabreichte. Ich empfand das alles als ganz furchtbar. Die Behandlung war schlimmer als bei Tieren. Einfach Decke weg, umdrehen, Spritze rein, raus, Decke drüber und weg.
Er hielt sich ca. eine Woche auf dieser Station auf. Bei einem dieser Besuche fand ich meinen Mann auf dem Flur der Station im totalen Durchzug sitzend vor. Keine 24 Stunden später hatte er hohes Fieber, und es wurde eine Lungenentzündung diagnostiziert.
Schon nach der ersten Woche stellte ich bei meinem Mann mehrere durchgelegene Stellen in schwerer Form fest. Und genau wie beim Essen wurde mein Mann, der auf Hilfe angewiesen war, in der ganzen Zeit nie ausreichend mit Getränken versorgt. Ich wunderte mich nämlich, dass er nie zur Toilette musste, und kochte ihm zu Hause deshalb Blasen- und Nierentee, den ich mit auf die Station nahm und ihm entsprechend verabreichte. Schon am ersten Tag konnte er nach mehreren Tassen Tee, die ich ihm einflößte, wieder Wasser lassen. Die von mir verlangte Urinuntersuchung brachte dann ein akutes Nierenproblem zutage. Dann wurde er verlegt in ein anderes Krankenhaus mit dem Ziel der Dialyse. Ich betone noch einmal: Mein Mann wurde wegen eines Hexenschusses (!) eingeliefert. Diese Dialyse wurde dann zum 1. 9. 2009 angesetzt. Am Abend des gleichen Tages verstarb mein Mann. Erst nach ungefähr sechs Wochen und nach massiver Intervention bei der Geschäftsleitung dieses Krankenhauses erfuhr ich als hinterbliebene Ehefrau die
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