Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
eine Zeitung von gestern« versickert leider immer wieder nachgewiesene Selbstbedienung innerhalb der Krankenkassen. So wurde bereits am 2. April 2005 öffentlich bekannt, wie sich Kassenchefs bedienen. Interessant sind natürlich dann auch Äußerungen von Politikern. »Da ist offenbar das Augenmaß im Umgang mit Versichertengeldern verlorengegangen«, sagte Ministerin Ursula von der Leyen ( CDU ), nachdem die Vorstandschefin der AOK Niedersachsen entlassen wurde.
Wir lachten herzlich. Dabei kann wohl kaum ein Außenstehender ermessen, was eine solche Krankheit für den Betroffenen bedeutet. Dieser Mann da, der so fröhlich mit mir im Gespräch ist, hat wochenlange, unsägliche Schmerzen hinter sich, teilweise durch die Operation bedingt, teilweise durch die Nachsorge, dazu dann diese Verbrennungen, die ihm über mehrere Wochen ein Sitzen völlig unmöglich machten. Die Suche nach dem geeigneten Toilettenpapier war natürlich nicht als lustige Einlage im Gespräch gedacht, sondern sollte mir klarmachen, wie viel Kraft ein Mensch braucht, um so eine kuriose Prozedur überhaupt psychisch zu überstehen. »Wissen Sie, das klingt jetzt blöd. Aber meine Frau kauft dreimal im Umkreis ihrer Einkaufsmöglichkeiten sämtliche weichen Kosmetiktücher auf. Durch die Anzahl der Kartons in meinem Keramikstudio habe ich mal ausgerechnet, dass ich wöchentlich etwa 3000 solcher Tücher benötige!« Durch das Entfernen eines großen Stücks vom Dickdarm bestimmte sein »neuer Stoffwechsel« das tägliche Leben. Er kam kaum noch vor die Tür seines Hauses. Denn besuchte er ein anderes »Keramikstudio«, wurde es peinlich, da er im Schnitt immer ein bis zwei Stunden dort verbringen musste.
Nun ist aber Herr M. jemand, der prinzipiell versucht, an die Ursachen zu gehen. Falsche Schuldzuweisungen sind seine Sache nicht. Mir fiel auf, wie positiv er von den Leuten sprach, die sich für ihn eingesetzt hatten. Jeder bekam sein Lob: die Ärzte, die diese OP mit Bravour erledigten und ihm in stundenlangen Operationen den Schließmuskel erhalten konnten, das Pflegepersonal, das auch in dieser Klinik völlig überlastet seinen Dienst tat. Er vergaß niemanden, absolut niemanden. Alles war gutgegangen – bis auf die Situation in der Strahlenklinik. Da passierte ihm etwas, das ihn mit den Untiefen des Systems vertraut machte. Erst war es nur das blanke Unverständnis: »Das darf doch nicht wahr sein, dass die einem die halbe Haut wegbrennen und dann auf das Kleingedruckte verweisen!«, als wären wir bei dem berühmten Deal: herzlichen Glückwunsch zu Ihrer neuen Waschmaschine.
Er suchte im SGB V (Sozialgesetzbuch) und er wollte Klärung. Immerhin war er der erste Patient, der nach der Wartung des Strahlengeräts behandelt wurde. Vielleicht waren es die schroffen Aussagen der Ärztin, vielleicht sein Gerechtigkeitsgefühl, jedenfalls fand er den Mut zu sagen: »Mit mir nicht, ich will wissen, was mir passierte!« Genau hier liegt der Ansatz einer Veränderung. Der Mann vertiefte sich in die Sachlage und nahm die Haftpflichtversicherung der Ärzte auseinander. »Ich habe das nicht allein für mich getan«, teilte er mir mit, »ich dachte mir: Da haben noch mehr Leute was davon, wenn du jetzt mal an die Basics gehst!« Das ist eine gute Einstellung, denn sie bedeutet Solidarität. Davon lebt unsere Demokratie, dass die Leute nicht nur an sich denken! Immer wieder spreche ich den Punkt in meinen Vorträgen an: einer für den anderen! Der Starke für den Schwachen! Denn auch der Starke wird einmal schwach und braucht die Hilfe derer, die dann stark sind. Den Meistern des schweren Lebens, wie Herr M. für mich einer ist, zolle ich Respekt und Hochachtung.
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10. Abgestellt & abgefertigt
Die feinen Sachen fürs bessergestellte Publikum
Ä rztepräsident Karsten Vilmar hatte die Diskussion mit seinem Unwort vom »sozialverträglichen Frühableben« angestoßen; heute weiß jedermann, dass es in Sachen Gesundheit längst nicht mehr alles für alle gibt, was es (wenn man ehrlich zurückschaut) nie in der Geschichte der Menschheit gab. Aber wir hatten doch ein hohes Niveau der Sozialisierung von Gesundheitsleistungen erreicht.
Nun kehrt sich die Tendenz um. Wie auch in den Einkommensverhältnissen die Mitte wegbricht, die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden, so spiegeln sich die neuen Verhältnisse auch im Gesundheitswesen. »Können Sie sich diese Krankheit überhaupt leisten?« – diese Frage dürfte zunehmend
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