Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
zu orientieren haben. Ihre Benchmark ist der Kostenvergleich mit anderen Zentren oder Kliniken des Unternehmens. Die gängige Methode lautet: Einen Betrieb, hier MVZ oder Klinik, gilt es betriebswirtschaftlich zu optimieren, um ihn im Wettbewerb als das Maß aller Dinge zu etablieren. Dazu müssen die ökonomischen Ziele erreicht werden, und zwar so schnell wie möglich. Das erreicht man am schnellsten, indem man die Kostentreiber herausfindet und an diesen Stellschrauben dreht. Nun kann Siemens seine Handysparte einstellen, eine Uniklinik aber nicht die Onkologie. Krebspatienten aber sind ein Kostenfaktor. Ein guter Patient ist ein Patient mit kurzer Verweildauer und unklarer Diagnose. Es gibt aber Patienten, die bleiben, eben weil sie eine vollkommen klare Diagnose haben. Und weil das so ist, spielen in der schönen neuen Gesundheit 2020 Patienten mit komplizierten Verletzungen, dauerhaften Beschwerden, chronischen Erkrankungen wohl keine Rolle.
Doch wen kann so eine PR -Aktion überzeugen? Betrachten wir einmal die Bertelsmann AG genauer. Als größter europäischer Medienkonzern weiß er um seine Einflussmöglichkeiten auf die Öffentlichkeit. Die Gesellschaft umfasst immerhin 120 Buchverlage, TV - und Radiosender wie RTL , den Magazinverlag Gruner & Jahr mit 500 Titeln, Druckereien, 700 Buchhandlungen und Medienclubs sowie den weltweit größten Medien- und Kommunikationsdienstleister, die 100-Prozent-Tochter Arvato AG . Spannend im Zusammenhang von Einflussnahme ist aber vor allem, ich sagte es oben schon, die gemeinnützige Stiftung, und die hält immerhin 76,9 Prozent der Unternehmensaktien. Gerhard Schröders »Agenda 2010« haben die Gütersloher maßgeblich mitgeprägt. Am ganz großen Reformrad rund um das Gesundheitswesen drehen sie ebenfalls schon lange und intensiv. Die generellen Ziele seines Wirkens hat der verstorbene Patriarch Reinhard Mohn nie verheimlicht. Bertelsmann verfügt nach Mohns Willen über …
eine korporatistische Unternehmenskultur, in der absolute Loyalität gegenüber dem Eigentümer an erster Stelle steht;
sie engagiert sich für ein Zurückdrängen des Staates; will mehr Effizienz durch Wettbewerb, vor allem dort, wo kein oder nur ein eingeschränkter Markt existiert – etwa im öffentlichen Bereich (Schulen, Hochschulen, Verwaltung, Gesundheitswesen);
sie will das Eindämmen des als überholt und ausufernd betrachteten Sozialstaats.
An seine Stelle tritt die Eigenverantwortung jedes Einzelnen. Konzernchefin und Stiftungsvorstandsvize Liz Mohn formuliert die »Mission« ihres Imperiums: »Der anonyme Wohlfahrtsstaat hat ausgedient, an seine Stelle tritt der soziale Staat, der vom bürgerschaftlichen Engagement und vom solidarischen Verhalten aller lebt. Dass möglichst viele verantwortungsvoll ihr Können in den Dienst der Gemeinschaft stellen, das macht den Staat auf Dauer lebensfähig.« Klingt überzeugend. Kenner und Kritiker erkennen aber auch den Pferdefuß in ihrem Ansatz: Wo ist in diesem idealen Konzept derjenige, der sich unverschuldet außerhalb möglicher Selbstbeteiligung bewegt? Ist der gut klingende Abschied vom anonymen Wohlfahrtsstaat am Ende doch der Anfang einer neuen Ungleichheit? Kaschiert er nicht eher die wegbrechende Mitte? Was hat uns denn der neoliberale Ansatz in den letzten dreißig Jahren anderes beschert, als dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer wurden? Jeder engagiert sich, wie er gemäß seinen finanziellen Möglichkeiten kann. Klingt gut. Klingt es aber auch noch gut, wenn das bedeutet: Wer viel vermag, entscheidet mehr? Am Ende heißt es dann: Wer zahlt, schafft an. So lange, bis die Unzufriedenheit der vielen zur Gärung kommt und unter Blut und Tränen das nächste halbwegs gerechte Sozialsystem geboren wird.
Und wie mischt sich der Mediengigant und seine Stiftung mit 300 Mitarbeitern und einem Jahresetat von knapp 84 Millionen Euro (2007) nun ein? Die Sorge um das »Gemeinwohl« bildet die nach außen propagierte Antriebsfeder. Das Angebot beschreibt Reinhard Mohn so: »Wir helfen der Politik, dem Staat und der Gesellschaft, Lösungen für die Zukunft zu finden.« Um sie Entscheidern nahezubringen, veröffentlicht die Stiftung Studien, Gutachten, Umfragen, lädt zu Konferenzen und Tagungen ein, lobt medienwirksam Preise aus, erstellt Rankings und Benchmarks. Sie bildet Netzwerke und formt lose Zusammenschlüsse aus Wissenschaftlern, Managern, Politikern fast aller Parteien, aus Ministerialbürokraten,
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