Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
diesem Tag ganze 30 Minuten für die Verhandlungen »Personen gegen Krankenkassen« vorgesehen waren. Die zweite Tatsache bestand darin, dass die Liste der Klage führenden Personen sehr lang war. »Hallo«, dachte sich Herr K., »wie wollen die denn auch nur einen einzigen Fall konkret betrachten und würdigen?« Spontan fühlte sich Herr K. an das erinnert, was er von der Hartz- IV -Klageflut an deutschen Gerichten gehört hatte. Aber schließlich wurde er doch aufgerufen. Die zuständige Richterin erkannte zwar die Situation und las aus dem Widerspruch der Krankenkasse folgende Passage vor: »Gemäß § 24 der Satzung haben die Versicherten gegenüber der Kasse Anspruch auf zahnärztliche und zahnprothetische Behandlung nach den gesetzlichen Bestimmungen des 5. Buches Sozialgesetzbuch ( SGB V ) (…) Welche Leistungen konkret unter den Begriff der zahnärztlichen Behandlung fallen, regelt § 28 SGB V . Dort heißt es: »Ebenso gehören funktionsanalytische und funktionstherapeutische Maßnahmen nicht zur zahnärztlichen Behandlung. Sie dürfen von den Krankenkassen auch nicht bezuschusst werden. Das Gleiche gilt für implantologische Leistungen, es sei denn, es liegen seltene vom gemeinsamen Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor, in denen die Krankenkasse diese Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt.« Nach den Richtlinien des Bundesausschusses in der ab 18. 6. 2006 in Kraft getretenen Satzung sind folgende medizinische Indikationen als Ausnahmeindikationen anerkannt: * größere Kiefer- oder Gesichtsdefekte, die ihre Ursachen in Tumoroperationen, Entzündungen des Kiefers, Operationen infolge von großen Zysten (…) oder Unfällen haben. * Wenn eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist (…)«
Die Richterin befand: »Für die Kasse sind die Ausführungen des Bundesrates in medizinischer Hinsicht richtungweisend. Insoweit steht fest, dass bei Ihnen eine Ausnahmeindikation im Sinne der Richtlinien nicht vorliegt. Die Kasse, die an die gesetzlichen Vorschriften des § 28 Abs. 2 SGB V und die hierzu ergangene Normen konkretisierende Richtlinie gebunden ist, hatte keine Möglichkeit, sich an den Kosten der Erbringung von Implantaten zu beteiligen …! (…)« Das heißt nun im Klartext: Zwar steht in den Richtlinien, dass auch eine Tumorbehandlung zu den Ausnahmeindikationen gehört, nur scheinbar nicht der Tumor von Herrn K. Die Sozialrichterin gab den Rat, neuerliche medizinische Gutachten vonseiten des Patienten K. erstellen zu lassen und damit ein weiteres Verfahren anzustrengen.
Herr K. ist kein Typ, der sich hängenlässt. Trotz der Erkrankung meistert er sein Leben. Als freiberuflicher Fahrer mit starker gesundheitlicher Belastung kann er wie gesagt seinen Lebensunterhalt eher schlecht als recht aufbringen. »Wenn ich unterwegs bin – und wann bin ich einmal nicht unterwegs? –, ernähre ich mich von Suppen, was will ich machen«, erzählt der sympathische Mann. Zu Hause sind bei jeder Zubereitung einer Mahlzeit Mixer und Pürierstab im Einsatz. Dass durch die jahrelange einseitige Ernährung in Breiform mittlerweile auch andere Organe in Mitleidenschaft gezogen wurden, dass dadurch Folgekosten für die Kasse entstanden, wurde wohl schlichtweg übersehen oder bewusst nicht registriert.
Hundert externe Mitarbeiter, die ganz oder teilweise von Unternehmen, Verbänden oder Gewerkschaften bezahlt wurden, arbeiteten in Bundesministerien und Bundeskanzleramt zwischen 2002 und 2006, räumte das Bundesinnenministerium aufgrund einer kleinen Anfrage ein. Es handelte sich dabei um Mitarbeiter der Krankenkassen und verschiedener großer Firmen: z.B. Deutsche Bank, Siemens oder DaimlerChrysler, E.on, BP , EADS , Wintershall … Laut Bundesinnenministerium wurden diese Mitarbeiter »auf Verschwiegenheit über alle Angelegenheiten, die ihnen bei der Tätigkeit in den obersten Bundesbehörden bekannt werden, verpflichtet«.
Angesichts solcher Fälle mache ich mir immer wieder Gedanken, was unser Solidarsystem noch wert ist, wo es mit immer größerer Sicherheit exakt dann ausfällt, wenn ein Schwacher es gerade einmal braucht. Aber ist es nicht genau dafür gedacht? Ich denke, die meisten Kassenpatienten haben nicht wirklich realisiert, dass die Einzahlungen ihrer Kassenbeiträge erst einmal überhaupt nichts mit
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