Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
einflussreichen Personen in Institutionen und Organisationen sowie aus Kulturschaffenden – in Deutschland, Europa und weit darüber hinaus. Wer mitzieht, dem wird die Mitarbeit gewiss nicht schaden. Wer sich verweigert, wird ignoriert. Der Kritik an ihrem Weg stellen sich die Leiter und Lenker der Stiftung ganz bewusst nicht.
Für den Gesundheitsbereich hat Mark Wössner, der frühere Vorstandschef der Stiftung, die Absichten im Jahr 2000 einmal dargelegt – es war bei der Verleihung des Carl Bertelsmann-Preises. Der ging damals zu gleichen Teilen an die »reformfreudigen« Nachbarländer Schweiz und Niederlande. Die Eidgenossen hatten die Kopfpauschale, heute beschönigend Gesundheitsprämie genannt, eingeführt, die Holländer ein System der Primärversorgung. Wössner geißelte das deutsche System: »Die Leistungen liegen im internationalen Vergleich zurück, bei den Kosten nimmt Deutschland aber eine Spitzenposition ein. Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt nicht mehr!« Er knöpfte sich die Strukturen vor: mangelnder Wettbewerb und Ineffizienz. Er forderte Gesundheitspolitiker und Verbandsvertreter auf, nicht weiter an Symptomen herumzukurieren, sondern das System grundlegend zu reformieren.
»Bevor ein Vermerk den Minister erreicht, ist er schon bei der Energiewirtschaft und bei der Pharmaindustrie oder wo auch immer. Ich habe mir das aus der fernen Provinz wirklich nicht so vorstellen können!« So äußerte sich 2006 unser heutiger Bundesinnenminister Thomas de Maizière ( CDU ), damals Chef des Bundeskanzleramtes, zu dem Einfluss von Lobbyisten auf den Gesetzgebungsprozess.
Was man bei diesem Spiel ohne Volk immer im Auge haben sollte: Rein prognostisch gesehen ist das Gesundheitswesen eine der wenigen dauerhaft sicheren Wachstumsbranchen. Man spricht von einer Prognosesicherheit für einen Zeitraum, der sich über die nächsten 40 Jahre hin erstreckt. Heute geben die Deutschen rund 250 Milliarden Euro für ihre Gesundheit aus. Für die Leute in unserem Land ist das die gefühlte Belastbarkeitsgrenze. Nicht aber für die Konzernprognostiker. Die sehen das erreichbare Gesundheitsvolumen bei etwa 500 Millionen Euro. Mit anderen Worten: Wenn es nach dem Willen der Gesundheitsindustrie geht, soll uns Patienten die Gesundheitsversorgung der Zukunft genau doppelt so teuer zu stehen kommen als heute. Nun wird vielleicht der eine oder andere einwenden, damit werde man gewiss den Entwicklungen der modernen Hochleistungsmedizin Rechnung tragen, in Forschung investieren und einen einzigartigen gesundheitlichen Standard bei der Bevölkerung erreichen. Das ist leider blauäugig gedacht. Zur selben Zeit, in der sich die Strategen die Volumina hochrechnen, erwarten sie sich Renditesteigerungen durch Kosteneinsparungen, durch Automatisierung, Standardisierung und Personaleinsparung. Während diese Planspiele laufen, ertönt die politische Beschwichtigung. Dafür sind sie noch da, die Politiker: für die öffentlichkeitswirksame Verkaufe. Das Heft des Handelns haben sie schon längst aus der Hand gegeben. Diese ganzen Erschwernisse, sie seien den üblen Zeiten geschuldet, den miesen bisherigen Strukturen, der rückständigen alten Medizin, der demographischen Entwicklung. Nur durch Effizienzsteigerung und Wettbewerb könne man die Ausgaben wirksam senken. Der Wähler glaubt es zunehmend weniger, aber er beißt die Zähne zusammen und schluckt auch noch die x-te Maßnahme, als hätte er je vernommen, dass eine von ihnen tatsächlich etwas gebracht hat. Das ist die neoliberale Art, politisch auch noch den letzten Kredit zu verspielen.
Das Motiv klingt banal, ist aber die größte Triebkraft auf diesem Planeten: Mit Gesundheit kann man Geld verdienen, viel Geld. Viel mehr Geld, als man etwa mit Autos oder Computern verdienen kann. Fast so viel Geld wie mit Ölquellen, wenn einem nicht gerade Bohrinseln absaufen. Schließlich will fast jeder um jeden Preis gesund, fit, leistungsfähig sein. Gesundheit, sagt ein Spruch, ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts. Mit anderen Worten. Die Bereitschaft zur freiwilligen Entgeldung ist fast grenzenlos.
Nehmen wir einmal an, die Interessen der Bertelsmann Stiftung decken sich nicht mit den Interessen der Gesamtbevölkerung – wie setzt man die Interessen dann trotzdem durch? Antwort: Man muss geschickter trommeln. Man muss die Meinungsführerschaft gewinnen. Sprache ist das zentrale Vehikel. Man muss die Worte erobern, muss alle Vokabeln besetzen, die so tun,
Weitere Kostenlose Bücher