Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
nur Effizienz – die erbrachte Leistung muss im Verhältnis zum Aufwand stehen – verlangt, sondern das Befolgen von Behandlungsvorschriften, die harmlos Leitlinien genannt, aber mit der Eigenschaft evidenzbasiert belegt werden. Natürlich ist es sinnvoll, Therapien zu verordnen, die auf dem neuesten Stand medizinischer Erkenntnisse beruhen. Nichts anderes fordern diese »nachweisorientierten Leitlinien«. Als Prüfkategorien und Wegweiser für ärztliche Entscheidungen bieten sie durchaus wesentliche Anhaltspunkte, den richtigen Behandlungspfad zu finden oder den falschen zu meiden. Wer sie jedoch zum Standard, zur allein gültigen Vorschrift der Versorgung erhebt, bestreitet eine Einsicht, der kein praktisch tätiger Arzt widersprechen kann: Krankheitsverläufe stellen ein sehr individuelles Geschehen dar. Krankenkassen verlangen mittlerweile von Ärzten, sich strikt an evidenzbasierte Leitlinien zu halten. Abweichungen werden mit Regressforderungen gegenüber dem Arzt oder Behandlungsentzug gegenüber Patienten bedroht oder geahndet. Wissenschaftliche Empfehlungen müssen jedoch gerade auf medizinischem Gebiet bleiben, was sie sind: eine Richtschnur. Zum ökonomischen Steuerinstrument taugen sie nicht. Sichergestellt sein muss überdies, dass Leitlinien unabhängig von Interessen der Gesundheitsbranche aufgestellt werden. Ein schwieriges Unterfangen.
Taugen ökonomische Ziele überhaupt für das Gesundheitswesen? Natürlich. Allerdings muss das ärztliche Ziel, Kranke zu heilen, an erster Stelle aller Maßnahmen stehen. Alle anderen müssen sich ihm absolut unterordnen. Wie lässt sich dies erreichen? Die Politik hat die Pflicht, jedem Akteur, der an der Krankenversorgung teilnimmt, dieses Ziel vorzuschreiben und alle bisherigen Vorschriften zu prüfen, ob sie ihm dienen. Ist dies nicht klar erkennbar, sind sie ersatzlos zu streichen. Die Politik hat sicherzustellen, dass Ärzte so arbeiten können, wie es die gesetzlichen Vorgaben der Bundesärzteordnung ihnen auferlegen. Nur eine unabhängige ärztliche Instanz kann ihre Entscheidungen kontrollieren. Die Organisation des Systems wird regionalisiert. Maximal auf Ebene der Bundesländer bleiben die Strukturen und Geldflüsse überschaubar und transparent. Rasch wird man feststellen, dass die Kassenbeiträge für eine qualitativ hochstehende Versorgung ausreichen und Klinikpersonal sowie Ärzte für ihre Arbeit leistungsgerecht bezahlt werden können.
Noch bleibt Zeit umzusteuern. Momentan wird vor allem zu Lasten der Kranken und zugunsten der sich immer weiter aufblähenden Verwaltungsapparate gespart. Doch Kliniken und Praxisärzte, die mehr auf ihre Patienten als auf die Kosten achten, produzieren in dem Pauschalsystem zwangsläufig Verluste. Die Fähigkeit, ihr Inventar zu erneuern, verlieren sie obendrein. Private Investoren, Klinikkonzerne oder ihre Mittelsmänner, warten auf diese Gelegenheiten. Sie kaufen Einrichtungen und Arztsitze umgehend auf. Und keine Angst: Sie wissen, wie man in einer Wachstumsbranche Geld verdient. Das Kalkül ist so einfach wie zutreffend: Sind die Menschen krank, geben sie alles, um wieder gesund zu werden.
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21. Leben mit Behinderung
Was darf ein Mensch kosten?
U nd wieder zurück in den Alltag von Menschen, die den täglichen Umgang mit einem immer inhumaneren Gesundheitswesen pflegen (müssen)! Nehmen wir das Thema Behinderung. Ich muss nur in meinen Beweisordner hineingreifen, und mir sträuben sich die Haare. Ich greife einen von drei vergleichbaren Fällen in Kurzform auf. Sie alle haben den gleichen Nenner. Sie sind Bittsteller bei ihren Krankenkassen.
Der Fall liegt so: Behindertes Mädchen, inzwischen 17 Jahre alt, bei dem eine Querschnittslähmung kurz nach der Geburt festgestellt wurde. Bis das Mädchen 13, 14 Jahre alt ist, wird es im Reihenhaus die Treppe hinauf- und hinuntergetragen. Auch behinderte Kinder wachsen und werden schwerer. Ab einem gewissen Zeitpunkt ist dieses Tragen nicht mehr möglich. Zu groß, zu schwer, und nach 15 Jahren spielte auch der Rücken der Mutter nicht mehr mit.
Stück für Stück bauen die Eltern das Reihenhaus im unteren Wohnbereich behindertengerecht um. Es ist aber nicht möglich, unten einen Schlafraum für das gelähmte Mädchen einzurichten. Die Lösung ist ein Treppenlift.
Die Umbauten und die erhöhten Ausgaben durch Zigtausende Euro Zuzahlungen im Laufe der Jahre gestatten es der Familie nicht, diesen Lift allein zu finanzieren. Die Kasse ( BKK ) entscheidet
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