Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
Versorgungssystems aufrechtzuerhalten und daran mitzuwirken, unnütze Ausgaben zu beschränken. Die Versorgung behinderter Kinder mit Heilmitteln gehört sicher nicht zu den unnützen Ausgaben. (…)
Es ist nicht hinzunehmen, dass Eltern zur Überbrückung von Therapiepausen die Kosten für die krankengymnastischen Behandlungen, für Logopädie und Ergotherapie selbst übernehmen. Familien mit behinderten Kindern sind ohnehin in vielfacher Weise belastet, so dass man ihnen diese zusätzlichen Aufwendungen nicht auch noch zumuten darf.«
Das Bemühen um Rationalisierung im Gesundheitswesen darf nicht zu einer Rationierung führen bzw. dazu, dass nur noch eine geringe Zahl Versicherter »in den Genuss« kommt, die als notwendig erachteten Heil- bzw. Arzneimittel zu erhalten, andere (und das ist die Mehrheit) der chronisch kranken Menschen auf notwendige Therapien verzichten müssen. Der chronisch kranke Mensch muss trotz aller Sparmaßnahmen noch immer im Mittelpunkt stehen!
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22. Pflege vor Gericht
Wehe dir, du wirst ein Pflegefall!
E ine durch einen Unfall schwerbehinderte Frau, die nicht in einer Einrichtung lebt, sondern selbst für sich zu sorgen versucht, schrieb mir zuletzt: »Was ich als größte Behinderung erfahre, ist nicht meine Behinderung. Es ist dieser monströse, ja schikanöse Apparat, von dem ich in meiner Schwäche umstellt bin und
der mich behindert –
ja:
behindert!
Eigentlich würde ich gerne etwas arbeiten, so wie ich eben kann. Aber ich verbringe meine halbe Zeit mit der Suche nach Ansprechpartnern und zuständigen Sachbearbeitern, mit Pieptönen und mit Automatenstimmen, die mir sagen, dann und dann müsse ich die Drei drücken oder die Vier oder ich müsse bei einer ganz anderen Automatenstimme anrufen. Meine Stunden vergehen mit dem wiederholten Ausfüllen von hirnrissigen Unterlagen, die auf meinen Fall nicht zutreffen, und schwerverständlichen Formblättern, mit dem Verfassen von Bitt- und Klageschriften, mit notwendigen Nachforderungen halb- oder falsch gelieferter Artikel, mit Drohbriefen, nachzureichenden Beglaubigungen von Kopien der Kopien der Kopien, mit Dokumentationen von irgendwas, mit dem Schriftwechsel mit immer neuen, ›jetzt zuständigen‹ Behörden, endlich mit Anrufen beim Anwalt, ohne den zuletzt gar nichts mehr geht, mit … ich höre auf, bevor es mich so aufregt, dass ich zu zittern beginne. Es ist, als hätte ein Sadist sich das ausgedacht, um Menschen, die nicht sehr viele Kräfte haben, zu ruinieren. Gerne würde ich mal auf den Tisch hauen. Aber ich haue nur auf die gepolsterte Armlehne meines Rollis …«
Sollte die schwerbehinderte Frau sich wünschen, in einer Pflegeeinrichtung zu sein, damit ihr wenigstens der absurde Fight mit der grassierenden Controllitis erspart bleibt? Nicht wirklich. Alle diese Einrichtungen kämpfen ebenfalls einen schweren Kampf, der sich bei mir zuerst einmal darin niederschlug, dass mich Verwandte von Menschen, die in solchen Einrichtungen leben, vermehrt auf die unhaltbaren Umstände hinwiesen. Nachdem ich Dutzende Fälle unmenschlichen Handelns gegenüber Pflegebedürftigen kennenlernte, nachdem ich auch die Kämpfe um das, was zu einem kleinen Stück verbesserter Lebensqualität gehört, erlebt habe, bin ich zu dem Schluss gekommen: Wer am Bruttosozialprodukt nicht mehr mitarbeitet, wird ausgegrenzt und hat nach Vorgaben mancher Kassenbosse seinen Anspruch auf menschlichen Umgang verspielt.
In einem Urteil des Bundessozialgerichts ( BSG ) – die Klägerin war eine Frau – steht, dass es Pflegenden zusteht, Feste und Feierlichkeiten, informelle Gruppen und öffentliche Plätze des Pflegeheims aufsuchen zu können. Darüber hinaus sei ihnen der Besuch von Gottesdiensten und Fahrten durch den Park in Begleitung externer Besucher möglich zu machen. Die Auffassung der beklagten Krankenkasse, dass sie die Finanzierung eines Krankenfahrstuhls nur genehmigt, wenn die Pflegebedürftige in der Lage sei, das Gerät eigenmotorisch fortzubewegen, entbehre jeglicher gesetzlichen Grundlage. Ein Hilfsmittel soll die durch eine Behinderung beeinträchtigten Körperfunktionen ersetzen, erleichtern oder ergänzen. Selbst ein mittelbarer Ersatz der ausgefallenen Funktion reiche aus, um die Hilfsmitteleigenschaft des Gerätes zu begründen (Urteil vom 25. 1. 1995, Az. 3/1 RK 63/93).
Der Krankenfahrstuhl diene auch nicht ausschließlich der Erleichterung der Pflege. Gerade im engeren, auf Zimmer und Nasszelle bezogenen
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