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Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport

Titel: Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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das die Ärzte von der Kassenärztlichen Vereinigung ( KV ), in der sie Zwangsmitglieder sind, zugewiesen bekommen, bewegt sich maximal im zweistelligen Bereich. Zum Beispiel liegen die Honorare für einen Kassenpatienten über das RLV (Regelleistungsvolumen) für einen niedergelassenen Arzt, ob Hausarzt, Urologe, Augenarzt oder Orthopäde oder einen Frauenarzt, zwischen 20 und 40 Euro. Sie sehen: Die großen Sprünge, von denen immer berichtet wird, sind von unseren niedergelassenen Ärzten mit Sicherheit nicht zu machen. Nicht zu vergessen, die Summe bleibt gleich, egal wie oft wir als Patienten unseren Arzt pro Quartal brauchen. Was für Anreize, sich intensiv um Kranke zu kümmern, wenn zeitgleich die Existenzfrage im Nacken hängt! Betrachtet man dagegen die in der Politik gesetzten Lobbyistenpläne, unser Gesundheitswesen in einen lukrativen Gesundheitsmarkt umzubauen, wird das gezielte Kurzhalten unserer Ärzte nachvollziehbar. Sie stören bei diesen Plänen. Private Klinikkonzerne wollen den »Markt« erobern und das Produkt kranker Mensch zum Wertschöpfungsobjekt ihrer Aktionäre ausbauen.
    Greifen wir unser Beispiel Kfz noch einmal auf. Da schreibt der Zentralverband des Kraftfahrzeuggewerbes allen Werkstätten vor, dass jede Reparatur nur 200 Euro betragen darf, egal was kaputt ist und wie lange es dauert, das Fahrzeug wieder flottzumachen. Niemand käme auf so eine Idee. Falls doch, würden die Kfz-Meister ihre Funktionäre für verrückt erklären und schnurstracks aus ihrer Innung austreten.
    Die Praxismediziner waren empört und sind es noch. Ein Hausarzt hat erklärt, in den 1950er Jahren war seine Tätigkeit nach dem früheren Vergütungssystem sieben Pfennig pro Punkt wert, heute sind es drei Cent, weniger als vor mehr als einem halben Jahrhundert. Dennoch gelingt es den Ärzten nicht, gemeinsam gegen diese Unzumutbarkeit aufzustehen. Sie gehen den Gesundheitspolitikern auf den Leim und lassen sich auseinanderdividieren. Darin haben sie Übung: Mehr als ein Jahrzehnt sind sie nicht dagegen Sturm gelaufen, dass ihr Stück vom Ausgabenkuchen der gesetzlichen Krankenversicherung immer schmäler wird. Anstatt sich gemeinsam zu wehren, solidarisch ein klares Nein, bis hierher und nicht weiter, fertigzubringen, zanken sie sich, wer von dem kleineren Teil was erhält.
    Für Kliniken und Praxen optimieren längst interne und externe Mitarbeiter die Software-Programme, damit kein Euro verlorengeht. Der Frankfurter Chirurg Bernd Hontschik schreibt in einer medizinischen Fachzeitschrift:
»Es wird betrogen und gelogen, dass sich die Balken biegen, um noch eine und noch eine Erkrankung chiffrieren (also abrechenbar machen) zu können.«
Zwei oder drei Klinikärzte beschäftigen sich in großen Häusern mit nichts anderem als dem Optimieren des Geldflusses. Diese Form des »Gesundheitsmanagements« bieten Unternehmensberater und Pharmafirmen an. Bei Letzteren verpflichtet sich der Arzt, ihre Produkte bevorzugt zu verschreiben. Was außerhalb dieser Regelversorgung läuft, hat der Arzt gesondert zu begründen; es prüfen Sachbearbeiter der Krankenkassen oder deren medizinischer Dienst nach Aktenlage.
    So bleibt von den WANZ -Vorgaben (wirtschaftlich, angemessen, notwendig und zweckmäßig), nach denen in der gesetzlichen Krankenversicherung behandelt und verordnet werden soll, nur das W-Wort übrig. Das Gesundheitswesen verwandelt sich in eine Gesundheitswirtschaft: Geld entwickelt sich zur Triebfeder allen Handelns, bestimmt ganz automatisch den Umgang mit Kassenpatienten. Wieder machen dies Begriffe deutlich. Aus den Mitgliedern einer Kasse werden »Kunden«. Aus der Kasse wird das »Unternehmen Gesundheit«. Vorstandsvorsitzender heißt der Chef dieser Firma, nach wie vor eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die im Auftrag des Staates handelt. Eigentlich verwaltet sie treuhänderisch die Beiträge, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufbringen. Gewinne darf sie keine einfahren, auch keine Defizite erwirtschaften. Und doch passiert beides ohne Folgen für die Kassen. Bezahlt werden zahlreiche Vorstände wie Manager einer Aktiengesellschaft: Zu ihrem Grundgehalt gesellt sich ein Erfolgsbonus (!!), ein Dienstwagen möglichst mit Fahrer, ein üppiges Ruhestandsgeld (meist 60 Prozent des Topeinkommens) und, bei Ausscheiden, eine stattliche Abfindung. (Frage: Woran misst sich der Erfolg eines Treuhänders?) Spitzenverdiener wie Norbert Klusen, Chef der Techniker Krankenkasse, erzielen 270 000 Euro im Jahr.

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