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Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport

Titel: Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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den Antrag. Sie übernimmt acht Prozent der Kosten. Weder medizinische, soziale oder ethische Argumente ändern an der Höhe des Zuschusses irgendetwas. Damit ist das Projekt Treppenlift für die Familie gestorben.
    Zur Faktenlage: Wir haben Schulpflicht! Das heißt, das Mädchen muss morgens mit vereinten Kräften aus ihrem Zimmer im ersten Stock über die Treppe nach unten transportiert werden. Wenn das Mädchen am Nachmittag nach der Schule einfach für sich allein sein, Hausaufgaben machen, sich ausruhen will und sie mit vereinten Kräften der Mutter und der Geschwister wieder in den ersten Stock getragen wird, bleibt ihr nichts anderes übrig, als dort den Rest des Tages zu verbringen.
    Ich suche in den Unterlagen für Pflegeheime und finde wieder die Passage, in der ganz klar dokumentiert ist, dass ein Behinderter ein Recht hat, am sozialen Leben teilzunehmen, und daher muss z.B. auch einem Demenzkranken ein Rollstuhl zugestanden werden, auch wenn er seine Umgebung nur noch stückweise wahrnimmt. Deshalb stellt sich mir jetzt die Fragen: Was ist dann mit einem jungen Mädchen, dessen Lebensqualität sich steigern ließe? Wenn zudem die Kosten für die Folgeschäden des kaputten Rückens der Mutter hätten vermieden werden können? Darf man es überhaupt so betrachten? Man entscheidet überwiegend nach Aktenlage. Und irgendwo findet der Mitarbeiter der Krankenkasse im Sozialgesetzbuch oder anderen Richtlinien einen Satz, der es ihm erlaubt, nein zur höheren Finanzierung eines Treppenlifts zu sagen.
    Wären die Geschwister des gelähmten Mädchens ebenfalls mit diesem Defekt auf die Welt gekommen, hätte sich die Anschaffung für einen Treppenlift – nach dem Rechenmuster einer Krankenkasse – gelohnt!
    Das ist nun eben kein Einzelfall: Der Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte e.V. bestätigt bereits im Februar 2008 zum Thema Heilmittelversorgung die Situation: »Der größte Teil, der vom Bundesverband vertretenen 28 000 Familien mit behinderten Kindern und behinderten Menschen ist von einer zerebralen Bewegungsstörung betroffen. Besonders die behinderten Kinder sind für ihre Entwicklung und Förderung auf medizinisch-therapeutische Leistungen, in der Regel in Form von Heilmitteln, angewiesen. Nach den Vorgaben der Heilmittelrichtlinie ist die Verordnungsfähigkeit von Heilmitteln aufgrund der medizinischen Notwendigkeit innerhalb und außerhalb des Regelfalls in den allermeisten Fällen zweifelsfrei gegeben.
    Wir müssen jedoch feststellen, dass es für die Eltern behinderter Kinder zunehmend schwieriger wird, die notwendigen Verordnungen, auch bei einer eindeutigen medizinischen Notwendigkeit, zu erhalten. Die Steuerungsfunktion der Heilmittelrichtlinie ist durch das Heilmittelbudget, die Richtgrößen und die Praxisbudgets weitgehend außer Kraft gesetzt. Auch die prospektive Vereinbarung von Praxisbesonderheiten löst die Probleme nur zum Teil. (…) Die Probleme sind mit unterschiedlicher Ausprägung in nahezu allen Bundesländern festzustellen. (…)
    Als Patientenvertreter im Unterausschuss Heil- und Hilfsmittel des gemeinsamen Bundesausschusses bemühen wir uns darum, die Verordnung von Heilmitteln für behinderte Kinder zu thematisieren und einer Lösung zuzuführen. Da die Vereinbarung des Heilmittelbudgets und der Praxisbesonderheiten nicht im gemeinsamen Bundesausschuss, sondern zwischen GKV und KV behandelt werden, sind die Einwirkungsmöglichkeiten des gemeinsamen Bundesausschusses sehr begrenzt.
    Blühende Korruption: Am 4. Mai 2006 bestätigte das Landgericht Düsseldorf die Strafen von zwei bis fast fünf Jahren gegen die fünf Chefs von Rehabilitationszentren und Betriebskrankenkassen. Der Schaden für das Gesundheitswesen zwischen 1997 und 2001 beträgt Millionen und bezog sich auf mehrere hundert Fälle. Hintergrund: Die Anklage lautete auf Scheinrechnungen, die über Jahre mit überhöhten Beträgen abgerechnet wurden. So wurden Patienten Rehabilitationszentren zugewiesen – Patienten, die gar nicht existierten. Da sich die Angeklagten gegenseitig absichern wollten, hatten sie die jeweilige Verteilung der Betrugsgelder vertraglich festgelegt. Dieses Beweisstück fanden die Ermittler, und deshalb kam die Ungeheuerlichkeit ans Tageslicht.
    Der vom Bundesverband vertretene Personenkreis ist in hohem Maße auf medizinische Leistungen angewiesen. Der Bundesverband ist daher immer daran interessiert, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Medizin- und

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