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Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport

Titel: Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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in der Praxis dazu, dass gerade mit alten und hilflosen Versicherten dieser Streit um die Auslegung der Vorschriften geführt wird. Solche Streitigkeiten dürfen die Kranken- und Pflegekassen aber nicht auf dem Rücken der Versicherten austragen, die ein Hilfsmittel dringend benötigen – wie etwa die 72-jährige Klägerin. Gerade da, wo die zuerst zuständige Kasse das Hilfsmittel gewährt oder verweigert und dann noch Regressansprüche gegen die Alten- und Pflegeeinrichtung geltend machen kann, wird gezeigt, mit welcher Haltung die Kassen gegenüber wehrlosen Hilfsbedürftigen agieren. (So bereits das Sozialgericht Mainz im rechtskräftigen Urteil vom 16. 6. 1994, Az. S5K31/93, betreffend die Gewährung eines Lagerungs-Ringkissens als Hilfsmittel, das Urteil des SG Mainz vom 22. 12. 1995, Az. S1K58/94, betreffend die Gewährung eines Toilettenstuhles sowie das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 12. 7. 1996, Az. S5K2/95, betreffend die Kostenerstattung für eine Anti-Dekubitus-Matratze.)
    Wie das Altenzentrum in seinem Schreiben vom 6. 10. 1997 ausführte, verfügt die Einrichtung nur über einige Faltrollstühle, die für die Hilfestellung in akuten Notfallsituationen, nicht aber zum dauernden Einsatz vorgehalten werden. Entgegen der Auffassung der beklagten Krankenkasse gehören Hilfsmittel, wie Anti-Dekubitus-Matratzen, Rollatoren, Krankenfahrstühle etc., auch nicht zur Grundausstattung eines Pflegeheimplatzes. Derartige Hilfsmittel sind vielmehr bei bestimmten Krankheitsverläufen der Bewohner erforderlich. Damit sind sie grundsätzlich dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen entzogen (vgl. Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 29. 2. 1996, Az. S1Kr723/95). Die von den Kassen benannten Qualitätskriterien des SGB 5 (§ 72, Abs. 3, Satz 1 SGB 5) begründen keine Leistungsverpflichtung der Einrichtung. Insgesamt wurde der Klage stattgegeben, wie es juristisch heißt.
    Dieses Urteil habe ich bewusst mit den wichtigsten Passagen dokumentiert. Es macht klar, wie immer wieder die Betroffenen, die Ärmsten der Armen, die vom Schicksal am meisten Geschlagenen, die Alten und die Schwachen, regelrecht ausgetrickst werden. Ich habe immer noch diese verräterische Aussage eines Krankenkassenvorsitzenden im Ohr: »Erst einmal lehnen wir alles ab. Wir warten auf den Widerspruch und zahlen dann. Denn allein durch die wenigen Widersprüche machen wir durch diese Ablehnungshaltung Gewinn.«
    Interessant in diesem Zusammenhang ist das Faktum, dass der Qualitätsanspruch an die Pflege ständig steigt, und zwar zu Recht. Die es am schwersten haben, dürfen in einer humanen Gesellschaft nicht die Letzten sein, die die Hunde beißen. Nur der Kostenschlüssel ist geblieben und passt sich den geforderten Maßstäben nicht an. Was gewachsen ist, ist die Bürokratie. Hier liegt der Widerspruch. Alle von mir angesprochenen Pflegeeinrichtungen äußerten sich in analoger Weise; so sagte mir eine Heimleiterin: »Es wird immer mehr an Berichterfassung gefordert und auf die notwendige Kontrolle und Transparenz verwiesen. Mein Personalschlüssel kann sich den Forderungen aber gar nicht anschließen, der aufgrund der Kostensituation und der Kostenschlüssel stagniert. Immer wieder wird das einzelne Heim mit vielen anderen verglichen und daraus eine Summe gezimmert, die, egal wie man sie dreht und wendet, immer zum Vorteil der jeweiligen Krankenkasse ist. Der vom System erzwungene Druck kommt immer beim betroffenen Kranken, beim Pflegefall an. Denn sie sind die wahren Opfer dieses Gesundheitswesens.«
    Durchgängig waren alle für eine hohe Versorgungsqualität und für die notwendige Transparenz, denn so könne auch die eigene gute Leistung dokumentiert werden. Außerdem hätten es die schwarzen Schafe (die es in jedem Berufszweig gibt) dadurch immer schwerer. Der Qualitätsanspruch und die Transparenz wäre sicherlich leichter durchzusetzen, wenn er nicht an einen niemals abzuarbeitenden Berg formeller Ritualien gebunden wäre, nicht an das völlig unsinnige Erstellen von Listen, die in der Folge zu Papierbergen werden. Diese sinnlos vergeudete Zeit mit dem Führen von Listen sollte man eher einsetzen in die Pflegequalität und in den menschlichen Umgang der zu Pflegenden.

Uninformierte Sachbearbeiter
    Ein anderes Problem sind die uninformierten Sachbearbeiter. Im hier vorliegenden Fall gab es eine Information vonseiten der AOK an ein Pflegeheim: Das bis dahin finanzierte Katheterset werde als Set nicht mehr bezahlt. Punkt. Wie wichtig es

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