Kreativ fotografieren
Wo hat das Objekt seine Augen? Und wohin blicken sie? Dahinter steckt die ganz grundlegende und wichtigste Frage der Fotografie überhaupt: Was fotografiere ich? Das mag jetzt trivial klingen. Aber man sollte sich schon vor jedem Bild fragen, was fotografiere ich da eigentlich? Was möchte ich einem Betrachter mit einer Aufnahme zeigen? Ohne diese Frage fotografiert man nur zu häufig Irgendwas. Und kein Mensch interessiert sich für Fotos, die Irgendwas zeigen.
Von Haupt- und Nebendarstellern
Davon war auch die Rede, als ich zuvor den Hauptdarsteller einer Szene angesprochen habe. Jede Szene, jedes Motiv, sollte einen Hauptdarsteller haben. Bilder ohne klaren oder mit zu vielen Hauptdarstellern können nur selten begeistern. Hauptdarsteller muss dabei nicht immer ein Mensch sein. Es muss auch nicht immer ein Element sein, das einen Hauptdarsteller bildet. So könnte man bei Abbildung 2.42 von drei Hauptdarstellern sprechen. Tatsächlich aber ist ›die Band‹ beziehungsweise ›das Konzert‹ Hauptdarsteller. Der Hauptdarsteller kann auch ›die Menschenmenge‹, ›die Herde‹, ›der Wald‹, ›die Stadt‹, ›die Landschaft‹, ›das Meer‹ und so weiter sein. In Abbildung 2.44 ist ›die Treppe‹ Hauptdarsteller. In Abbildung 2.45 ist es ›das Licht‹.
Abbildung 2.46 zeigt zwei Katzen und einen Hund. Der tatsächliche Hauptdarsteller aber ist ›der Zank‹ zwischen Hund und Katzen. Der Hauptdarsteller muss auch gar nicht immer Format füllend ins Bild. In Abbildung 2.43 nimmt der Hund nur einen kleinen Teil des Bildformats ein. Dominierend wirken die Nebendarsteller ›Weite‹, ›Leere‹ und ›Kargheit‹. Doch erst vor dieser Bühne wird der kleine Hund richtig klein, und man bekommt eine Vorstellung von seinem Leben – der Hauptdarsteller bekommt Charakter.
Überlegen Sie also beim Fotografieren: Was Fotografiere ich? Wer ist der Hauptdarsteller? Und wie wähle ich den Bildausschnitt, um ihm eine optimale Bühne zu liefern?
Gesicht und Augen | Kehren wir zurück zum Gesicht und den Augen des Hauptdarstellers. Nicht jeder Hauptdarsteller hat Augen, nicht jeder hat ein Gesicht aber die meisten haben zumindest einen Kopf. Und wenn Sie Kopf, Gesicht und Augen des Hauptdarstellers identifiziert haben, gehen Sie auf Augenhöhe mit ihm.
Abb. 2.47 | Von oben herab
Abb. 2.48 | Im Auge der Monster
Abb. 2.49 | Auf Augenhöhe
Abb. 2.50 | Kinderperspektive
Abb. 2.51 | Nicht direkt Vogel-, aber Spatzenperspektive
Abb. 2.52 | Die Augen des Samurai
Abb. 2.53 | Mit der Blume auf Augenhöhe
Sehen Sie sich zum Beispiel einmal ›Laki‹ an (Abb. 2.47). So von oben herab betrachtet sieht sie fast etwas elend aus. Gehe ich aber mit der Kamera mit der Kleinen auf Augenhöhe, bekommt das Resultat gleich eine andere Wirkung (Abb. 2.49). Das liegt hier zum einen daran, dass eine Perspektive von oben herab zu unschönen, perspektivischen Verkürzungen führt. Gerade bei Menschen führt perspektivische Verkürzung dazu, dass Beine im Verhältnis zum Oberkörper deutlich kürzer erscheinen, als sie es tatsächlich sind. 1 Zum anderen ist die Perspektive, wie in Abbildung 2.47, einfach der Blickwinkel, aus dem wir einen kleinen Hund jedes mal sehen, wenn wir einen sehen, und somit alltäglich, gewöhnlich und langweilig.
Aus diesem Grund habe ich auch die beiden ›Sockenmonster‹ aus Augenhöhe fotografiert (Abb. 2.48). Zwar sehen die Wenigsten solche Geschöpfe jeden Tag. Dennoch ist die Bildwirkung unterhaltsamer, wenn sich der Betrachter auf Augenhöhe mit den Porträtierten sieht, als wenn sie aus gewöhnlicher Erwachsenenperspektive gezeigt würden.
Auf gleicher Ebene | Beim Bild von Luka (Abb. 2.50) sehen Sie ihm als Betrachter direkt in die Augen. Ganz so, als würden Sie ihn selbst mit den Augen eines kleinen Kindes betrachten. Auch hier gilt, dass ich dadurch, dass ich mit der Kamera auf Augenhöhe gegangen bin – vielleicht etwas darunter –, es vermieden habe, dass die Körperproportionen verzerrt werden.
Abbildung 2.51 lebt – abgesehen von der witzigen Szene, in der der Spatz überlegt, welchen Chip er stibitzen soll – vor allem davon, dass wir den Vogel dabei aus Spatzenperspektive beobachten.
Ziemlich uninteressant wäre die Aufnahme des roten Suzuki Samurai (Abb. 2.52), könnten wir ihn nicht aus Augenhöhe betrachten. Der Blickwinkel, auch hier noch etwas tiefer als die Augen des Gefährtes, zeigt ihn uns in einer Perspektive, aus der wir ihn normalerweise nicht zu Gesicht
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